Anstelle
eines Vorworts:
Francois Villon (1431 - ca. 1464)
Eine kleine Ballade
von dem Mäuslein, das in Villons Zelle Junge bekam
[Nachdichtung von Paul Zech]
Es schwamm der Mond in mein Gemach hinein,
weil er da draußen so allein
bei den entlaubten Bäumen stand.
Ich habe ihm ein Kissen hingerückt,
damit er ruhen konnte, und er tat's beglückt
sich untern Kopf. Ich legte ihm die Hand
schnell auf die Augen, und da schlief er auch.
Mich aber plagte schlechte Luft im Bauch.
Sie plagte mich, bis
eine Uhr schon zwölfe schlug.
Da hatte ich verdammt genug
und ließ sie ab, die Luft. Davon ist zwar
der Mond nicht aufgewacht, doch in dem Fenstereck
die Mäusefrau. Sie hat im ersten Schreck
geboren, was noch gar nicht fällig war.
Die kleinen rosa Schnauzen piepsten da so nett,
daß ich sie zu mir nahm ins warme Bett.
Mein Gott, die lütten
Dinger, noch ganz nackt
und blind: Wie hat das Elend mich gepackt!
Ich glaub', daß mir was Nasses in die Augen kam.
Dabei hat manches Mädchen schon von mir
ein Kind gekriegt und starb vor Scham.
Die armen Würmer aber kuschten sich
in meine Hand, als wäre ich ihr Vater Mäuserich.
Zuletzt war auch die
Mäusefrau so zahm
geworden, daß sie schwänzelnd zu mir kam.
Die schwarzen Augen glänzten froh und groß
in mein Gesicht hinein.
Und plötzlich war ich auch so mäuseklein
wie dieses Tier und nahm es in den Schoß.
Ich habe wohl die ganze Nacht mit ihr verbracht
und an kein and'res Weib dabei gedacht.
Nachgedanken:
Im milden Licht der
Winternacht
hab ich mich zu den Mäusen aufgemacht.
Du aber fragst, warum denn nur?
Hör zu, es ist kein Tier so klein,
das nicht von dir ein Bruder könnte sein.
Eine kleine Liebesballade, gedichtet für Jeanne C. de Quée
[Nachdichtung von Paul Zech]
Im Sommer war das Gras so tief,
daß jeder Wind daran vorüberlief.
Ich habe da dein Blut gespürt
und wie es heiß zu mir herüberrann.
Du hast nur meine Stirn berührt,
da schmolz er auch schon hin, der harte Mann,
weil's solche Liebe nicht tagtäglich gibt...
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.
Im Feld den ganzen
Sommer war
der Mond so rot nicht wie dein Haar.
Jetzt wird es abgemäht, das Gras,
die bunten Blumen welken auch dahin.
Und wenn der rote Mond so blaß
geworden ist, dann hat es keinen Sinn,
daß es noch weiße Wolken gibt...
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.
Du sagst, daß
es bald Kinder gibt,
wenn man sich in dein rotes Haar verliebt,
so rot wie Mohn, so weiß wie Schnee.
Im Herbst, mein Lieb, da kehren viele Kinder ein,
warum soll's auch bei uns nicht sein?
Du bleibst im Winter auch mein rotes Reh
und wenn es hundert schönere gibt...
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.
Gotthold Ephraim Lessing
(1729 -1781)
Der über uns
Hans Steffen stieg
bei Dämmerung (und kaum
Konnt er vor Näschigkeit die Dämmerung erwarten)
In seines Edelmannes Garten
Und plünderte den besten Äpfelbaum.
Johann und Hanne konnten
kaum
Vor Liebesglut die Dämmerung erwarten,
Und schlichen sich in eben diesen Garten,
Von ungefähr an eben diesen Äpfelbaum.
Hans Steffen, der
im Winkel oben saß
Und fleißig brach und aß,
Ward mäuschenstill, vor Wartung böser Dinge,
Daß seine Näscherei ihm diesmal schlecht gelinge.
Doch bald vernahm er unten Dinge,
Worüber er der Furcht vergaß
Und immer sachte weiter aß.
Johann warf Hannen
in das Gras.
"Oh pfui," rief Hanne; "welcher Spaß!
Nicht doch Johann! - Ei was?
Oh, schäme dich! - Ein andermal - oh laß -
Oh, schäme dich! - Hier ist es naß." - -
"Naß, oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras." -
Wie dies Gespräche
weiter lief,
Das weiß ich nicht, Wer brauchts zu wissen?
Sie stunden wieder auf und Hanne seufzte tief:
"So, schöner Herr! heißt das bloß küssen?
Das Männerherz! Kein einzger hat Gewissen!
Sie könnten es uns so versüßen!
Wie grausam aber müssen
Wir armen Mädchen öfters dafür büßen!
Wenn nun auch mir
ein Unglück widerfährt -
Ein Kind - ich zittre - wer ernährt
Mir dann das Kind? Kannst du es mir ernähren?"
"Ich?" sprach Johann; "die Zeit mags lehren.
Doch wirds auch nicht von mir ernährt,
Der über uns wirds schon ernähren,
Dem über uns vertrau!"
Dem über uns!
Dies hörte Steffen.
Was, dacht er, will das Pack mich äffen?
Der über ihnen? Ei, wie schlau!
"Nein!" schrie er: "laßt euch andre Hoffnung laben!
Der über euch ist nicht so toll!
Wenn ich ein Bankbein1 nähren soll:
So will ich es auch selbst gedrechselt haben!"
Wer hier erschrak
und aus dem Garten rann,
Das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
Sie auch dem Äpfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, daß sies getan.
Johann Wolfgang von
Goethe (1749 - 1832)
Zueignung
Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing,
Daß ich, erwacht aus meiner stillen Hütte
Den Berg hinauf mit frischer Seele ging;
Ich freute mich bei einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.
Und wie ich stieg
zog von dem Fluß der Wiesen
Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor.
Er wich und wechselte, mich zu umfließen,
Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor:
Des schönen Blicks sollt ich nicht mehr genießen,
Die Gegend deckte mir ein trüber Flor;
Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen,
Und mit mir selbst in Dämmrung eingeschlossen.
Auf einmal schien
die Sonne durchzudringen,
Im Nebel ließ sich eine Klarheit sehn.
Hier sank er leise sich hinabzuschwingen;
Hier teilt' er steigend sich um Wald und Höhn.
Wie hofft ich ihr den ersten Gruß zu bringen!
Sie hofft ich nach der Trübe doppelt schön.
Der luftge Kampf war lange nicht vollendet,
Ein Glanz umgab mich, und ich stand geblendet.
Bald machte mich,
die Augen aufzuschlagen,
Ein innrer Trieb des Herzens wieder kühn;
Ich konnt es nur mit schnellen Blicken wagen,
Denn alles schien zu brennen und zu glühn.
Da schwebte mit den Wolken hergetragen
Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin,
Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben;
Sie sah mich an und blieb verweilend schweben.
Kennst Du mich nicht?
Sprach sie mit einem Munde,
Dem aller Lieb und Treue Ton entfloß:
Erkennst Du mich, die ich in manche Wunde
Des Lebens Dir den reinsten Balsam goß?
Du kennst mich wohl, an die zu ewgem Bunde,
Dein strebend Herz sich fest und fester schloß.
Sah ich Dich nicht mit heißen Herzenstränen
Als Knabe schon nach mir dich eifrig sehnen?
Ja! Rief ich aus,
indem ich selig nieder
Zur Erde sank, lang hab ich das gefühlt:
Du gabst mir Ruh, wenn durch die jungen Glieder
Die Leidenschaft sich rastlos durchgewühlt;
Du hast mir wie mit himmlischen Gefieder
Am heißen Tag die Stirne sanft gekühlt;
Du schenktest mir der Erde beste Gaben,
Und jedes Glück will ich durch dich nur haben!
Dich nenn ich nicht.
Zwar hör ich dich von vielen
Gar oft genannt, und jeder heißt dich sein,
Ein jedes Aug glaubt auf dich zu zielen,
Fast jedem Auge wird dein Strahl zur Pein.
Ach, da ich irrte, hat ich viel Gespielen,
Da ich dich kenne, bin ich fast allein:
Ich muß mein Glück nur mit mir selbst genießen,
Dein holdes Licht verdecken und verschließen.
Sie lächelte,
sie sprach: Du siehst, wie klug,
Wie nötig war's, euch wenig zu enthüllen!
Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug,
Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,
So glaubst du dich schon Übermensch genug,
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!
Wie viel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich, leb mit der Welt in Frieden!
Verzeih mir, rief
ich aus, ich meint es gut!
Soll ich umsonst die Augen offen haben?
Ein froher Wille lebt in meinem Blut,
Ich kenne ganz den Wert von deinen Gaben!
Für andre wächst in mir das edle Gut,
Ich kann und will das Pfund nicht mehr vergraben!
Warum sucht ich den Weg so sehnsuchtsvoll,
Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?
Und wie sprach, sah
mich das hohle Wesen
Mit einem Blick mitleidger Nachsicht an;
Ich konnte mich in ihrem Auge lesen,
Was ich verfehlt und was ich recht getan.
Sie lächelte, da war ich schon genesen,
Zu neuen Freuden stieg mein Geist heran:
Ich konnte nun mit innigem Vertrauen
Mich zu ihr nahn und ihre Nähe schauen.
Da reckte sie die
Hand aus in die Streifen
Der leichten Wolken und des Dufts umher;
Wie sie ihn faßte, ließ er sich ergreifen,
Er ließ sich ziehn, es war kein Nebel mehr.
Mein Auge konnt im Tale wieder schweifen,
Gen Himmel blickt ich, er war hell und hehr.
Nur sah ich sie den reinsten Schleier halten,
Er floß um sie und schwoll in tausend Falten.
Ich kenne dich, ich
kenne deine Schwächen,
Ich weiß, was Gutes in dir lebt und glimmt!
- So sagte sie, ich hör sie ewig sprechen, -
Empfange hier, was ich dir lang bestimmt!
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:
Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.
Und wenn es dir und
deinen Freunden schwüle
Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft!
Sogleich umsäuselt Abendwindes Kühle,
Umhaucht euch Blumen-Würzgeruch und Duft.
Es schweigt das Wehen banger Erdgefühle,
Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft,
Besänftiget wird jede Lebenswelle,
Der Tag wird lieblich und die Nacht wird helle.
So kommt denn, Freunde,
wenn auf euren Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,
Wenn eure Bahn ein frischerneuter Segen
Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!
So leben wir, so wandeln wir beglückt.
Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,
Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.
Friedrich Schiller
(1759 - 1805)
Eine Leichenphantasie
Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf totenstillen Hainen,
Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft -
Nebelwolken schauern,
Sterne trauern
Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Gleich Gespenstern, stumm und hohl und hager,
Zieht in schwarzem Totenpompe dort
Ein Gewimmel nach dem Leichenlager
Unterm Schauerflor der Grabnacht fort.
Zitternd an der Krücke
Wer mit düsterm, rückgesunknem Blicke,
Ausgegossen in ein heulend Ach,
Schwer geneckt vom eisernen Geschicke,
Schwankt dem stumm getragnen Sarge nach?
Floß es Vater von des Jünglings Lippe?
Nasse Schauer schauern fürchterlich
Durch sein gramgeschmolzenes Gerippe,
Seine Silberhaare bäumen sich. -
Aufgerissen seine
Feuerwunde!
Durch die Seele Höllenschmerz!
Vater floß es von des Jünglings Munde,
Sohn gelispelt hat das Vaterherz.
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche!
Und dein Traum, so golden einst, so süß!
Süß und golden, Vater, dir zum Fluche!
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche,
Deine Wonne und dein Paradies!
Mild, wie umweht von
Elysiumslüften1,
Wie aus Auroras2 Umarmung geschlüpft,
Himmlisch umgürtet mit rosigten Düften,
Florens Sohn über das Blumenfeld hüpft,
Flog er einher, auf den lachenden Wiesen,
Nachgespiegelt von silberner Flut;
Wollustflammen entsprühten den Küssen,
Jagten die Mädchen in liebende Glut
Mutig sprang er im
Gewühle der Menschen,
Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh;
Himmelum flog er in schweifenden Wünschen,
Hoch wie der Adler in wolkigter Höh;
Stolz wie die Rosse sich sträuben und schäumen,
Werfen im Sturme die Mähnen umher,
Königlich wider den Zügel sich bäumen,
Trat er vor Sklaven und Fürsten daher.
Heiter wie Frühlingstag
schwand ihm das Leben,
Floh ihm vorüber in Hesperus'3 Glanz,
Klagen ertränkt' er im Golde der Reben,
Schmerzen verhüpft er im wirbelnden Tanz.
Welten schliefen im herrlichen Jungen,
Ha! Wenn er einsten zum Manne gereift -
Freu dich, Vater, im herrlichen Jungen,
Wenn einst die schlafenden Keime gereift.
Nein doch, Vater!
- Horch! die Kirchhoftüre brauset,
Und die eh'rnen Angel klirren auf -
Wie's hinein ins Grabgewölbe grauset! -
Nein doch, laß den Tränen ihren Lauf. -
Geh, du Holder, geh im Pfad der Sonne
Freudig weiter der Vollendung zu,
Lösche nun den edlen Durst nach Wonne,
Gramentbundner, in Walhallas Ruh! -
Wiedersehen - himmlischer
Gedanke! -
Wiedersehen dort an Edens Tor!
Horch! Der Sarg versinkt mit dumpfigem Geschwanke,
Wimmernd schnurrt das Totenseil empor!
Da wir trunken umeinanderrollten,
Lippen schwiegen und das Auge sprach -
Haltet! haltet! - da wir boshaft grollten -
Aber Tränen stürzen wärmer nach - -
Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf totenstillen Hainen,
Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft.
Nebelwolken schauern,
Sterne trauern
Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Dumpfig schollert's überm Sarg zum Hügel -
Oh, um Erdballs Schätze, nur noch einen Blick!
Starr und ewig schließt des Grabes Riegel,
Dumpfer - dumpfer schollert's überm Sarg zum Hügel,
Nimmer gibt das Grab zurück.
Der Tanz
Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare
Drehen, den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß.
Seh ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes?
Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reihn?
Wie, vom Zephir gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt,
Wie sich leise der Kahn schaukelt auf siberner Flut,
Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge;
Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib.
Jetzt als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes,
Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn.
Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet,
Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg.
Sieh! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander
Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt.
Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich,
Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her.
Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung,
Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel.
Sprich, wie geschieht's, daß rastlos erneut die Bildungen schwanken
Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt,
Jeder ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet
Und im eilenden Lauf findet die einzelne Bahn?
Willst Du es wissen? Es ist des Wohllauts mächtige Gottheit,
Die zum geselligen Tanz ordnet den tobenden Sprung,
Die, der Nemesis gleich, an des Rhythmus goldenem Zügel
Lenkt die brausende Lust und die verwilderte zähmt.
Und dir rauschen umsonst die Harmonien des Weltalls,
Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs,
Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen,
Nicht der wirbelnde Tanz, der durch den ewigen Raum
Leuchtende Sonnen schwingt in kühn gewundenen Bahnen?
Das du im Spiele doch ehrst, fliehst du im Handeln, das Maß.
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