August Wilhelm von Schlegel (1767 - 1845)

Verteilung des Schreibgeräts für die heutige Zeit


Die starren Schwanenfedern euch, Zensoren!
Den alten Gänsekiel langweiligen Autoren!
Unzähl'ge Ladies'pens für Liebesbriefgekritzel,
Dann Rabenfedern auch für Feuilleton-Gewitzel.


Auf die Taufe eines Negers


Gedichtet im Schloß Chaumont an der Loire. Die Taufzeugen waren Madame Juliette Recamier und Herr Matthieu de Montmorency.


Den schwarzen Sohn der sonnentflammten Zone
Entführt aus seinem Palmen-Vaterlande
Europa's Geiz, daß er an fernem Strande
In hartem Sklavendienst verschmachtend frohne.

Die Freiheit wird dem Armen erst zum Lohne.
Für seine Treu' entfallen ihm die Bande;
Er lernt, beglückt in seinem niedern Stande,
Daß Mild' und Recht im Land der Weißen wohne.

Bald winken ihm zwei segnende Gestirne:
Seht! Huld und Adel mit vereintem Triebe
Geleiten ihm zum heil'gen Glaubensbade.

Ein Lichtstrahl fällt auf seine dunkle Stirne,
Ihm offenbart der Christen fromme Liebe
Das göttliche Geheimnis ew'ger Gnade.

[1806-07, im Alter von 39 bzw. 40 Jahren]

 

 

 

 

Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)

An die Unerkannte

Kennst du sie, die selig, wie die Sterne,
Von des Lebens dunkler Woge ferne
Wandellos in stiller Schöne lebt,
Die des Herzens löwenkühne Siege
Des Gedankens fesselfreie Flüge,
Wie der Tag den Adler, überschwebt?

Die uns trifft mit ihren Mittagsstrahlen,
Uns entflammt mit ihren Idealen,
Wie vom Himmel, uns Gebote schickt,
Die die Weisen nach dem Wege fragen,
Stumm und ernst, wie von dem Sturm verschlagen
Nach dem Orient der Schiffer blickt?

Die das Beste gibt aus schöner Fülle,
Wenn aus ihr die Riesenkraft der Wille
Und der Geist sein stilles Urteil nimmt,
Die dem Lebensliede seine Weise,
Die das Maß der Ruhe, wie dem Fleiße
Durch den Mittler unsern Geist bestimmt?

Die, wenn uns des Lebens Leere tötet
Magisch uns die welken Schläfen rötet,
Uns mit Hoffnungen das Herz verjüngt,
Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert,
Den sein fernes Ithaka bekümmert,
In Alcinous Gefilde bringt?

Kennst du sie, die uns mit Lorbeerkronen,
Mit der Freude beßrer Regionen
Ehe wir zu Grabe gehn, vergillt,
Die der Liebe göttlichstes Verlangen,
Die das schönste, was wir angefangen,
Mühelos im Augenblick erfüllt?

Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt,
Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigt
Mit den Göttern, die er kühn verstößt,
Die des Schicksals eh'rne Schlüsse mildert,
Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert,
Uns besänftigend den Harnisch löst?

Die das Eine, das im Raum der Sterne,
Das du suchst in aller Zeiten Ferne
Unter Stürmen, auf verwegner Fahrt,
Das kein sterblicher Verstand ersonnen,
Keine, keine Tugend noch gewonnen,
Die des Friedens goldne Frucht bewahrt?

[1796-98, im Alter von 26-28 Jahren]


Der Abschied

Trennen wollten wir uns? wähnten es gut und klug?
Da wir's taten, warum schreckte uns, wie Mord, die Tat?
Ach! wir kennen uns wenig,
Denn es waltet ein Gott in uns.

Den verraten? ach ihn, welcher uns alles erst,
Sinn und Leben erschuf, ihn, den beseelenden
Schutzgott unserer Liebe,
Dies, dies Eine vermag ich nicht.

Aber anderen Fehl denket der Weltsinn sich,
Andern ehernen Dienst übt er und anders Recht,
Und es listet die Seele
Tag für Tag der Gebrauch uns ab.

Wohl! ich wußt' es zuvor. Seit die gewurzelte
Ungestalte die Furcht Götter und Menschen trennt,
Muß, mit Blut sie zu sühnen,
Muß der Liebenden Herz vergehn.

Laß mich schweigen! oh laß nimmer von nun an mich
Dieses Tödliche sehn, daß ich im Frieden doch
Hin ins Einsame ziehe,
Und noch unser der Abschied sei!

Reich die Schale mir selbst, daß ich des rettenden
Heil'gen Giftes genug, daß ich des Lethetranks1
Mit dir trinke, daß alles
Haß und Liebe vergessen sei!

Hingehn will ich. Vielleicht seh' ich in langer Zeit
Diotima! dich hier. Aber verblutet ist
Dann das Wünschen und friedlich
Gleich den Seligen, fremde gehn

Wir umher, ein Gespräch führet uns ab und auf,
Sinnend, zögernd, doch jetzt mahnt die Vergessenen
Hier die Stelle des Abschieds,
Es erwarmet ein Herz in uns,

Staunend seh' ich dich an, Stimmen und süßen Sang,
Wie aus voriger Zeit hör' ich und Saitenspiel,
Und die Lilie duftet
Golden über dem Bach uns auf.

[nach 1800]

 

 

 

 


Friedrich von Hardenberg alias Novalis (1772 - 1801)


Badelied

Auf Freunde herunter das heiße Gewand
Und tauchet in kühlende Flut
Die Glieder, die matt von der Sonne gebrannt,
Und holet von neuem euch Mut.

Die Hitze erschlaffet, macht träge uns nur,
nicht munter und tätig und frisch,
Doch Leben gibt uns und der ganzen Natur
Die Quelle im kühlen Gebüsch.

Vielleicht, daß sich hier auch ein Mädchen gekühlt
Mit rosichten Wangen und Mund,
Am niedlichen Leibe dies Wellchen gespielt,
Am Busen so weiß und so rund.

Und welches Entzücken! dies Wellchen bespült
Auch meine entkleidete Brust.
Oh! wahrlich, wer diesen Gedanken nur fühlt,
Hat süße entzückende Lust.


[aus der Schulzeit]

 

 

 

Heinrich von Kleist (1777 - 1811)

Das letzte Lied


Fern ab am Horizont, auf Felsenrissen,
Liegt der gewitterschwarze Krieg getürmt.
Die Blitze zucken schon, die ungewissen,
Der Wandrer sucht das Laubdach, das ihn schirmt.
Und wie ein Strom, geschwellt von Regengüssen,
Aus seines Ufers Bette heulend stürmt,
Kommt das Verderben, mit entbundnen Wogen,
Auf alles, was besteht, herangezogen.

Der alten Staaten graues Prachtgerüste
Sinkt donnernd ein, von ihm hinweggespült,
Wie, auf der Heide Grund, ein Wurmgeniste,
Von einem Knaben scharrend weggewühlt;
Und wo das Leben, um der Menschen Brüste,
in tausend Lichtern jauchzend hat gespielt,
Ist es so lautlos jetzt, wie in den Reichen,
Durch die die Wellen des Kozytus1 schleichen.

Und ein Geschlecht, von düsterm Haar umflogen,
Tritt aus der Nacht, das keinen Namen führt,
Das, wie ein Hirngespinst der Mythologen,
Hervor aus der Erschlagnen Knochen stiert;
Das ist geboren nicht und nicht erzogen
Vom alten, das im deutschen Land regiert:
Das läßt in Tönen, wie der Nord an Strömen,
Wenn er im Schilfrohr seufzet, sich vernehmen.

Und du, oh Lied, voll unnennbarer Wonnen,
Das das Gefühl so wunderbar erhebt,
Das, einer Himmelsurne wie entronnen,
Zu den entzückten Ohren niederschwebt,
Bei dessen Klang, empor ins Reich der Sonnen,
Von allen Banden frei die Seele strebt;
Dich trifft der Todespfeil; die Parzen2 winken,
Und stumm ins Grab mußt du daniedersinken.

Erschienen, festlich, in der Völker Reigen,
Wird dir kein Beifall mehr entgegen blühn,
Kein Herz dir klopfen, keine Brust dir steigen,
Dir keine Träne mehr zur Erde glühn,
Und nur wo einsam, unter Tannenzweigen,
Zu Leichensteinen stille Pfade fliehn,
Wird Wanderern, die bei den Toten leben,
Ein Schatten deiner Schön' entgegenschweben.

Und stärker rauscht der Sänger in die Saiten,
der Töne ganze Macht lockt er hervor,
Er singt die Lust, fürs Vaterland zu streiten,
Und machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr, -
Und da sein Blick das Blutpanier der Zeiten
Stets weiter flattern sieht, von Tor zu Tor,
Schließt er sein Lied, er wünscht mit ihm zu enden,
Und legt die Leier weinend aus den Händen.


[1809, im Alter von 32 Jahren, zwei Jahre vor seinem Suizid]

 

 

 

 


Joseph von Eichendorff (1788 - 1857)

Trennung


Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen,
Wo wir zum letztenmal im Park beisammen?
Kühl standen rings des Abendrotes Flammen,
Ich scherzte wild - Du lächeltest durch Tränen.
So spielt der Wahnsinn lieblich mit den Schmerzen
An jäher Schlüfte Rand, die nach ihm trachten;
Er mag der lauernden Gefahr nicht achten;
Er hat den Tod ja schon im öden Herzen.

Ob du die Mutter auch belogst, betrübtest,
Was andre Leute drüber deuten, sagen -
Sonst scheu - heut mocht'st Du Nichts nach Allem fragen,
Mir einzig zeigen nur, wie Du mich liebtest.
Und aus dem Hause heimlich so entwichen,
Gabst Du in's Feld mir schweigend das Geleite,
Vor uns das Tal, das hoffnungsreiche, weite,
Und hinter uns kam grau die Nacht geschlichen.

Du gehst nun fort, sprachst Du, ich bleib' alleine;
Ach! dürft' ich Alles lassen, still und heiter
Mit Dir so ziehn hinab und immer weiter -
Ich sah Dich an - es spielten bleiche Scheine
So wunderbar um Locken Dir und Glieder;
So ruhig, fremd warst Du mir erschienen,
Es war, als sagten die versteinten Mienen,
Was Du verschwiegst: Wir seh'n uns niemals wieder!


Auf meines Kindes Tod


1.

Das Kindlein spielt' draußen im Frühlingsschein,
Und freut' sich und hatte so viel zu sehen,
Wie die Felder schimmern und die Ströme gehen -
Da sah der Abend durch die Bäume herein,
Der alle die schönen Bilder verwirrt.
Und wie es nun ringsum so stille wird,
Beginnt aus den Tälern ein heimlich Singen,
Als wollt's mit Wehmut die Welt umschlingen,
Die Farben vergehn und die Erde wird blaß.
Voll Staunen fragt's Kindlein: ach, was ist das?

Und legt sich träumend in's säuselnde Gras;
Da rühren die Blumen ihm kühle an's Herz
Und lächelnd fühlt es so süßen Schmerz,
Und die Erde, die Mutter, so schön und bleich,
Küßt das Kindlein und läßt's nicht los,
Zieht es herzinnig in ihren Schoß
Und bettet es drunten gar warm und weich,
Still unter Blumen und Moos. -

"Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?
In einem viel schöneren Garten bin ich,
Der ist so groß und weit und wunderbar,
Viel Blumen stehn dort, von Golde klar,
Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen
Auf und nieder sich drauf und singen. -
Die kenn ich gar wohl aus der Frühlingszeit,
Wie sie zogen über Berge und Täler weit
Und Mancher mich da aus dem Himmelblau rief,
Wenn ich drunten im Garten schlief. -
Und mitten zwischen den Blumen und Scheinen
Steht die schönste von allen Frauen,
Ein glänzend Kindlein an ihrer Brust. -
Ich kann nicht sprechen und auch nicht weinen,
Nur singen immer und wieder dann schauen
Still vor großer, seliger Lust."

5.


Freuden wollt' ich dir bereiten,
Zwischen Kämpfen, Lust und Schmerz
Wollt' ich treulich dich geleiten
Durch das Leben himmelwärts.

Doch du hast's allein gefunden
Wo kein Vater führen kann,
Durch die ernste, dunkle Stunde
Gingst du schuldlos mir voran.

Wie das Säuseln leiser Schwingen
Draußen über Tal und Kluft
Ging zur selben Stund ein Singen
Ferne durch die stille Luft.

Und so fröhlich glänzt der Morgen,
'S war als ob das Singen sprach:
Jetzo lasset alle Sorgen,
Liebt ihr mich, so folgt mir nach!

Todeslust


Bevor er in die blaue Flut gesunken,
Träumt noch der Schwan und singet todestrunken;
Die sommermüde Erde im Verblühen
Läßt all ihr Feuer in den Trauben glühen;
Die Sonne, Funken sprühend, im Versinken,
Gibt noch einmal der Erde Glut zu trinken,
Bis, Stern auf Stern, die Trunkne zu umfangen,
Die wunderbare Nacht ist aufgegangen.

 

 

 

 



Heinrich (Harry) Heine (1797 - 1856)

In Mathildens Stammbuch


Hier, auf gewalkten Lumpen, soll ich
Mit einer Spule von der Gans
Hinkritzeln ernsthaft halb, halb drollig,
Versifizierten Firlefanz -

Ich, der gewohnt mich auszusprechen
Auf deinem schönen Rosenmund,
Mit Küssen, die wie Flammen brechen
Hervor aus tiefstem Herzensgrund!

Oh Modewut! Ist man ein Dichter,
Quält uns die eigne Frau zuletzt
Bis man, wie andre Sangeslichter,
Ihr einen Reim ins Album setzt.


Das Glück...


Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest an's Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir an's Bett und strickt.


[1853 oder 54, im Alter von 56 bzw. 57 Jahren, ca. zwei Jahre vor seinem Tod]

 

Die Nixen

Am einsamen Strande plätschert die Flut,
Der Mond ist aufgegangen,
Auf weißer Düne der Ritter ruht,
Von bunten Träumen befangen.

Die schönen Nixen, im Schleiergewand,
Entsteigen der Meerestiefe.
Sie nahen sich leise dem jungen Fant,
Sie glauben wahrhaftig er schliefe.

Die Eine betastet mit Neubegier
Die Federn auf seinem Barette.
Die Andere nestelt am Bandelier1
Und an der Waffenkette.

Die Dritte lacht und ihr Auge blitzt,
Sie zieht das Schwert aus der Scheide,
Und auf dem blanken Schwert gestützt
Beschaut sie den Ritter mit Freude.

Die Vierte tänzelt wohl hin und her
Und flüstert aus tiefem Gemüte:
"Oh, daß ich doch dein Liebchen wär',
Du holde Menschenblüte!"

Die Fünfte küßt des Ritter Händ',
Mit Sehnsucht und Verlangen;
Die Sechste zögert und küßt am End
Die Lippen und die Wangen.

Der Ritter ist klug, es fällt ihm nicht ein,
Die Augen öffnen zu müssen;
Er läßt sich ruhig im Mondenschein
Von schönen Nixen küssen.



Begegnung


Wohl unter der Linde erklingt die Musik,
Da tanzen die Burschen und Mädel,
Da tanzen zwei, die niemand kennt,
Sie schau'n so schlank und edel.

Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise,
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Das Fräulein flüstert leise:

"Mein schöner Junker, auf eurem Hut
Schwankt eine Neckenlilie,
Die wächst nur tief in Meeresgrund -
Ihr stammt nicht aus Adams Familie.

Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt
Verlocken des Dorfes Schönen.
Ich hab' Euch erkannt, beim ersten Blick,
An Euren fischgrätigen Zähnen."

Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise,
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Der Junker flüstert leise:

"Mein schönes Fräulein, sagt mir warum
So eiskalt Eure Hand ist?
Sagt mir, warum so naß der Saum
an Eurem weißen Gewand ist?

Ich hab' Euch erkannt, beim ersten Blick,
An Eurem spöttischen Knixe -
Du bist kein irdisches Menschenkind,
Du bist mein Mühmchen die Nixe."

Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus,
Es trennen sich höflich die beiden.
Sie kennen sich leider viel zu gut,
Suchen sich jetzt zu vermeiden.