Conrad
Ferdinand Meyer (1825 - 1898)
Schillers Bestattung
Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm
Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht.
Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg
Mit keinem Kranz, dem kargsten nicht, und kein Geleit!
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.
Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur,
Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht,
Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war's.
Das Heute
Das Heute ist einem jungen Weibe gleich.
Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich.
Es schaudert. Einen vollen Becher faßt
Es gierig noch und schlürft in toller Hast.
Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt,
Entfärbt sich und verwelkt. Der Becher sinkt.
Langsam zieht es den Kranz sich aus dem Haar.
Das Haar ergraut, das eben braun noch war.
Tief runzelt sich das schöne, schuld'ge Haupt.
Zusammenbricht das Knie, der Kraft beraubt.
Die Horen kleiden dicht in Schleier ein
Und führen weg ein greises Mütterlein.
Der schöne Tag
In kühler Tiefe
spiegelt sich
Des Juli-Himmels warmes Blau,
Libellen tanzen auf der Flut,
Die nicht der kleinste Hauch bewegt.
Zwei Knaben und ein
ledig Boot -
Sie sprangen jauchzend in das Bad,
Der eine taucht gekühlt empor,
Der andre steigt nicht wieder auf.
Ein wilder Schrei:
"Der Bruder sank!"
Von Booten wimmelt's schon. Man fischt.
Den einen rudern sie ans Land,
Der fahl wie ein Verbrecher sitzt.
Der andre Knabe sinkt
und sinkt
Gemach hinab, ein Schlummernder,
Geschmiegt das sanfte Lockenhaupt
An einer Nymphe weiße Brust.
Wilhelm
Raabe (1831 - 1910)
Über den Marktplatz zu schweifen,
Durch die Gassen zu streifen,
Licht aus Schatten zu greifen,
Das ist Dichterberuf! - -
Alles Genießliche
Hab ich genossen;
Alles Verdrießliche
Hat mich verdrossen.
Brauch es jetzt wacker
Nur auszuschrein,
Um ein gelesener
Dichter zu sein.
Die Regennacht
Ein armer Mann lag
er auf seinem Lager
Und horchte, wie der Regen niederrauschte;
Ein altes Weiblein, giftig, gelb und hager,
Krankheit genannt, hielt Wacht,
Und es war Nacht,
War lange, schaurig kalte Regennacht.
Dem Manne weh, der
einsam und verlassen
In solcher Nacht sich quält mit seinem Leben,
Der horchen muß dem Regen in den Gassen
Und zählen muß den Glockenschlag
Bis zu dem Tag,
Dem langen, grauen, öden Wintertag!
Das Auge fängt
sich in des Vorhangs Falten,
Nur matten Schein verhüllt die Lampe wirft,
Schatten und Nacht! Und in der Nacht Gestalten
Und Tongewirr! Der Regen niederrauscht,
Die Seele lauscht
Und ängstet sich, verliert sich in sich selber!
Ein fröstelnd
Feuer! Bei dem Rauschen, Rauschen
Geseufz des Windes vor dem verhangnen Fenster.
Oh unerträglich qualvoll, schmerzhaft Lauschen,
Das an den Nerven zerrt und zuckt!
Der Tod, der guckt
Sich überbeugend ins Gesicht dem Opfer.
Und wie die Tropfen
unaufhörlich fallen,
Und wie es klingt und klopft und gießt und plätschert,
Da hört er leise Geistertritte hallen,
Und tote Jahre, Tage längst entschwunden,
Vergeßne Stunden
Ziehen lebendig durch die bange Seele.
Denke daran, in Sonne
lag die Welt,
Wacht hielt die Mutter über dich im Schatten,
Ein Kind warst du auf einem Blumenfeld,
Denke der Kindheit, armer kranker Mann,
Denke daran,
Wie sich die Blüten schaukelten im Weste!
Denke daran, du standst
auf Bergesgipfeln,
Es hielt dein starker Arm die Braut umschlungen;
Tief unter dir der Tannen dunkle Wipfel
Und weit der Täler, Hügel grüner Kranz
Im sonngen Glanz -
Denke der duftgen, hoffnungsreichen Ferne!
Denke daran, die Lerche sang im Blauen,
Als in dein Haus du führtest die Geliebte,
Denk, wie im Segen prangten reich die Auen!
Denk, wie die Häupter neigeten die Ähren,
Die hoffnungsschweren,
Denk, wie die Sichel blitzte in der Sonne!
Weh, welche Nacht!
Will nie der Regen enden?
Zu glühndem Feuer wird ein jeder Tropfen!
Was hilft's die bange Seele abzuwenden?
Ein Leichenduft kalt ins Gesicht ihm schlägt,
Vorüber trägt
Vor dem geschloßnen Aug man seine Särge!
Ein armer Mann lag
er auf seinem Lager
Und horchte, wie der Regen niederrauschte;
Ein altes Weiblein, giftig, gelb und hager,
Krankheit genannt, hielt Wacht,
Und es war Nacht,
War lange, schaurig kalte Regennacht.
[1861, im Alter von 30 Jahren]
Gerhart Hauptmann (1862 - 1946)
Abendstimmung
Hin durch den Forst schießt eine weiße Schlange,
spitz ist ihr Haupt, ihr Schweif verweht im Winde;
darunter braust auf stählernem Gewinde
der Erdenpuls in nimmermüdem Gange.
Verschwunden ist sie
tief im Forste lange,
stumm ragt die Kiefer, um die rote Rinde
spielt schon der Nachthauch, schweifen Nebel linde,
und Uhuschrei tönt ferneher und bange.
Ein Tümpel liegt
in weltvergessnen Träumen,
vom Frühlingsregen angefüllt, am Raine;
es spiegeln drin sich einsam Ost und Westen.
Tiefblau der Ost steht
über schwarzen Bäumen,
die Stirn geziert mit einem Demantsteine;
der Westen prahlt mit fahlen Sonnenresten.
[zwischen 1880 und
1887]
Graue Nebel decken
See und Land,
von der Bäume Scheitel trieft es feucht,
eine mitleidslose Totenhand
gelbe Blätter von den Zweigen scheucht.
Und die gelben Blätter
fallen sacht
auf die Pfade, die mein Fuß betritt;
und ein jedes lockt zur Mutter Nacht
meine müde, müde Seele mit.
Kommt ein weißer
Schwan auf schwarzer Flut,
singend jene alte Melodei,
die so weh dem kranken Herzen tut
und so unaussprechlich wohl dabei.
Arno
Holz (1871 - 1914)
Großstadtmorgen
Die letzten Sterne
flimmerten noch matt,
ein Spatz versuchte früh schon seine Kehle,
da schritt ich müde durch die Friedrichstadt,
bespritzt von ihrem Schmutz bis in die Seele.
Kein Quentchen Ekel war in mir erwacht,
wenn mich die Dirnen schamlos angelacht,
kaum daß ich stumpf davon Notiz genommen,
wenn mir ein Trunkner in den Weg gekommen.
Und doch, ich spürte dumpf, mir war nicht recht.
Selbst die Zigarre schmeckte schlecht.
Halb zwei. Mechanisch
sah ich nach der Uhr.
An was ich dachte weiß der Kuckuck nur.
Vielleicht an meinen Affenpinscher Fips,
an ein Bonmot, an einen neuen Schlips,
vielleicht an ein zerbolztes Ideal,
vielleicht auch nur - ans Kaffee National.
Da, plötzlich,
wie? ich wußt es selber nicht,
fuhr mir durchs Hirn phantastisch ein Gesicht,
ein Traum, den ich vor Jahren einst geträumt,
ein Glück, das zu genießen ich versäumt.
Ich fühlte seinen Atem mich umstreifen,
ich konnt es förmlich mit den Händen greifen!
Ein verwehender Sommertag,
ich war allein,
auf einem grünen Hügel hielt ich im Abendschein,
und still war mein Herz und fröhlich und ruhte.
Leise, unter mir, schnupperte meine Stute,
die Zügel locker lang und laß,
und rupfte büschelweise das Gras.
es ging ihr fast kniehoch und stand voller Blumen.
Dazwischen roch es nach Ackerkrumen,
und hinten, die Flügel noch gerade besonnt,
mahlten drei Mühlen am Horizont.
Drei alte Dinger, fuchsrot beschienen
und halb schon vergraben hinter einem Feld Lupinen.
Sonst nichts, so weit der Blick auch schweifte,
als mannshohes Korn, das rauschend reifte;
dazu drüber ein ganz, ganz blaßblauer Himmel
voll Grillengezirp und Lerchengewimmel.
Das war das Ganze.
Doch ich sah die Farben
und hörte den Wind wehn und roch die Garben.
Ein Sonnenblitz, drei flüchtige Sekunden,
und, wies gekommen, wars auch schon verschwunden!
Die Friedrichstraße.
Krumm an seiner Krücke
ein Bettler auf der Weidendammer Brücke:
"Kauft-Wachs-streich-hölzer!
Schwedische-Storm- und - Wachs-streich-hölzer..."
Mich fröstelte!
Initiale
Die deutsche Sprache war einst in alter Zeit
ein blondes Vollweib, das durch die Wälder strich;
doch heut ist längst ihr schlotternder Busen
platt wie ein Plättbrett!
Das gute Frauchen
hat zu viel Tee geschluckt
und leidet nun an Husten und Heiserkeit;
ich aber frage, wann wird sie wieder
saugrob wie Luther?
Kritiksucht
Wenn die Kritiksucht unsre Kunst
en masse schablonenhaft verhunzt,
fällt mir der Vers ein, der famose:
"Du stinkst, sprach das Schwein zur Rose."
Einem Verleger ins
Stammbuch
Künstler ist der Schaffende,
Kritiker der Blaffende,
Publikum das Gaffende,
rate: Wer - der Raffende?
Stefan George (1868 - 1933)
Die frühe sonne küsst noch ohne feuer
Den kies der langsam seine feuchte gibt
Im heim das seiner herrin immer teuer
Sobald sie kühlung und den frieden liebt.
Sie wandeln aus der
blau berankten tür
Durch ihre nelken astern und reseden
- Ihr haucht auch noch wie vormals für und für:
Du bist die Königin im Blumeneden? -
Ihr fliegend band
verscheucht die Schmetterlinge
Die beiden Palmen zucken vor dem Wind
Verdrossen wittert sie den stolz der dinge
Die nur zum blühen aufgesprossen sind.
Meine weißen
ara haben safrangelbe kronen
Hinterm gitter wo sie wohnen
Nicken sie in schlanken ringen
Ohne ruf ohne sang
Schlummern lang
Breiten niemals ihre schwingen -
Meine weißen ara träumen
Von den fernen dattelbäumen.
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