Christian Morgenstern (1871 - 1914)


Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid


Sophie, mein Henkersmädel,
komm, küsse mir den Schädel!
Zwar ist mein Mund
ein schwarzer Schlund -
doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,
komm, streichle mir den Schädel!
Zwar ist mein Haupt
des Haars beraubt -
doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,
komm, schau mir in den Schädel!
Die Augen zwar,
sie fraß der Aar -
doch du bist gut und edel!

 

Vice versa


Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.

Doch, im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehaltnen Fleißes

vom vis-…-vis gelegnen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.

Ihn aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm.

 

 

 

 

 


Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)

Psyche

Psyche, my Soul
Edgar Poe


...und Psyche, meine Seele, sah mich an
Von unterdrücktem Weinen blaß und bebend
Und sagte leise: "Herr, ich möchte sterben,
Ich bin zum Sterben müde und mich friert."

"Oh Psyche, Psyche, meine kleine Seele,
Sei still, ich will Dir einen Trank bereiten
Der warmes Leben strömt durch alle Glieder.
Mit gutem, warmem Wein will ich Dich tränken,
Mit glühendem, sprühendem Saft des lebendigen,
Funkelnden, dunkelnden, rauschend unbändigen,
Quellenden, schwellenden, lachenden Lebens,
Mit Garben und Farben des trunkenen Bebens:
Mit sehnender Seele von weinenden Liedern
Mit Ballspiel und Grazie von tanzenden Gliedern,
Mit jauchzender Schönheit von sonnigem Wehen
Hellrollender Stürme auf schwarzgrünen Seen,
Mit Gärten, wo Rosen und Efeu verwildern,
Mit blassen Frauen und leuchtenden Bildern,
Mit fremden Ländern, mit violetten,
Gelbleuchtenden Wolken und Rosenbetten,
Mit heißen Rubinen, grüngoldenen Ringen
Und allen prunkenden, duftenden Dingen."

Und Psyche, meine Seele, sah mich an
Und sagte traurig: "Alle diese Dinge
Sind schal und trüb und tot. Das Leben hat
Nicht Glanz und Duft. Ich bin es müde, Herr."

Ich sagte: "Noch weiß ich wohl eine Welt,
Wenn Dir die lebendige nicht gefällt."
Mit wunderbar nievernommenen Worten
Reiß ich Dir auf der Träume Pforten:
Mit goldenglühenden, süßen, lauen
Wie duftendes Tanzen von lachenden Frauen;
Mit monddurchsickerten, nächtig webenden,
Wie fiebernde Blumenkelche bebenden;
Mit grünen, rieselnden, kühlen, feuchten
Wie rieselndes, grünes Meeresleuchten,
Mit trunkentanzenden, dunkeln, schwülen
Wie dunkelglühender Geigen Wühlen;
Mit wilden, wehenden, irren und wirren
Wie großer, nächtiger Vögel Schwirren;
Mit schnellen und gellenden, heißen und grellen
Wie metallener Flüsse grellblinkende Wellen...
Mit vielerlei solchen verzauberten Worten
Werf ich Dir auf der Träume Pforten:
Den goldenen Garten mit duftenden Auen,

Im Abendrot schwimmend, mit lachenden Frauen;
Das rauschende, violette Dunkel
Mit weißleuchtenden Bäumen und Sternengefunkel;
Den flüsternden, braunen, vergessenen Teich
Mit kreisenden Schwänen und Nebel bleich;
Die Gondeln im Dunkel mit seltsamen Lichtern,
Schwülduftenden Blumen und blassen Gesichtern;
Die Heimat der Winde, die nachts wild wehen
Mit riesigen Schatten auf traurigen Seen;
Und das Land von Metall, das in schweigender Glut
Unter eisernem, grauem Himmel ruht. -

Da sah mich Psyche, meine Seele an
Mit bösem Blick und hartem Mund und sprach:
"Dann muß ich sterben, wenn Du so nichts weißt
Von allen Dingen, die das Leben will."


[1892/93, im Alter von 18/19 Jahren]

 

 

Kunst des Erzählens


Schildern willst du den Mord? So zeig mir den Hund auf dem Hofe:
Zeig mir im Aug von dem Hund gleichfalls den Schatten der Tat.

Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer

Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.
Wir trugen alle wie von einem Blitz
Den Widerschein als Blässe im Gesicht.

Er fiel: da fielen alle Puppen hin,
In deren Adern er sein Lebensblut
Gegossen hatte, lautlos starben sie,
Und wo er lag, das lag ein Haufen Leichen,
Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer
In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp
Mit Caliban als Alp um seinen Hals,
Und jeder tot.

Da wußten wir, wer uns gestorben war:
Der Zauberer, der große, große Gaukler!
Und aus den Häusern traten wir heraus
Und fingen an zu reden, wer er war.
Wer aber war er, und wer war er nicht?

Er kroch von einer Larve in die andre,
Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib
Und tauschte wie Gewänder die Gestalten.
Mit Schwertern, die er kreisen ließ, so schnell,
Daß niemand ihre Klinge funkeln sah,
Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war
Vielleicht das eine, und die andre Hälfte
Gab einen süßen Narren oder Träumer.
Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier,
In dessen Falten alle Dinge wohnen:
Er holte Tiere aus sich selbst hervor:
Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel
Und einen schrecklichen, und den und jenen,
Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend
Von innerlichem Schicksal durch und durch,
Wie Kohle glühend, und er lebte drin
Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen,
Mit jenem undurchdringlich fremden Blick
Des Salamanders, der im Feuer wohnt.

Er war ein wilder König. Um die Hüften
Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht
Die Wahrheit und die Lüge von uns allen.
In seinen Augen flogen unsre Träume
Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel
Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser.


Hier trat er her, auf eben diesen Fleck,
Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn
Der Lärm des Meeres eingefangen ist,
So war in ihm die Stimme alles Lebens:
Er wurde groß, er war der ganze Wald,
Er war das Land, durch das die Straßen laufen.
Mit Augen wie die Kinder saßen wir
Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen
Von einem großen Berg: in seinem Mund
War eine Bucht, drin brandete das Meer.

Denn in ihm war etwas, das viele Türen
Aufschloß und viele Räume überflog:
Gewalt des Lebens, diese war in ihm.
Und über ihn bekam der Tod Gewalt!
Blies aus die Augen, deren innrer Kern
Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen,
Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen
Und tötete den Leib, der Glied für Glied
Beladen war mit ungebornem Leben.

Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht?
Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust
Bevölkert mit verständlichen Gestalten,
Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust?
Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten
Und starren nun bei seines Namens Klang
Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.


[1898, im Alter von 24 Jahren]

 

 

 

 

 


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Herbsttag


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
auf den Fluren laß die Winde los.

Befiel den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

[1902]

 


Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris


Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang, geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

[1903]



Wilder Rosenbusch


Wie steht er da, vor den Verdunkelungen
des Regenabends, jung und rein;
in seinen Ranken schenkend ausgeschwungen
und doch versunken in sein Rose-sein;

die flachen Blüten, da und dort schon offen,
jegliche ungewollt und ungepflegt:
so, von sich selbst unendlich übertroffen
und unbeschreiblich aus sich selbst erregt,

ruft er dem Wandrer, der in abendlicher
Nachdenklichkeit den Weg vorüberkommt:
Oh sieh mich stehn, sieh her, was bin ich sicher
und unbeschützt und habe was mir frommt.

[1924]

 

 

 

 

 


Hermann Hesse (1877 - 1962)

Augenblick vor dem Gewitter


Noch einmal im verfinsterten Gewühle
Der Wetterwolken zuckt die Sonne vor,
Erhitzt den Dunst zu schauerlicher Schwüle
Und lächelt irr im bangen Gartenflor.

Vor tiefem Schwarzblau flammt das rote Haus
Grell wie Zinnober, und die Fenster funkeln...
Der nächste Augenblick löscht aus,
Das Licht verwelkt, ein Sausen singt im Dunkeln.

Jetzt jagen weiße Schauer aus der Nacht,
Mit schwerer Schleppe peitscht den Wald der Regen,
Blitz blendet, Hagel trommelt, höhnend kracht
Der Donner auf mit knatternd hellen Schlägen.

 


Schmerz


Schmerz ist ein Meister, der uns klein macht,
Ein Feuer, das uns ärmer brennt,
Das uns vom eigenen Leibe trennt,
Das uns umlodert und allein macht.

Weisheit und Liebe werden klein,
Trost wird und Hoffnung dünn und flüchtig;
Schmerz liebt uns wild und eifersüchtig,
Wir schmelzen hin und werden Sein.

Es krümmt die irdne Form, das Ich,
Und wehrt und sträubt sich in den Flammen.
Dann sinkt sie still in Staub zusammen
Und überläßt dem Meister sich.

 

 

 

 

 

 

Gottfried Benn (1886 - 1956)

Was schlimm ist


Wenn man kein Englisch kann,
von einem guten englischen Kriminalroman zu hören,
der nicht ins Deutsche übersetzt ist.

Bei Hitze ein Bier sehn,
das man nicht bezahlen kann.

Einen neuen Gedanken haben,
den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann,
wie es die Professoren tun.

Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören
und sich sagen, daß sie das immer tun.

Sehr schlimm: eingeladen sein,
wenn zu Hause die Räume stiller,
der Café besser
und keine Unterhaltung nötig ist.

Am schlimmsten:
nicht im Sommer sterben,
wenn alles hell ist
und die Erde für Spaten leicht.

[bis 1952]

 


Blumen


Ein See, vom grauen Blute
des Herbstes ganz vergiftet,
machte mich krank.

Vergrämt empfing das Ufer,
glückleer und laubbeworfen,
wie Gräbererde meinen Schritt.

Dann kam in einem Park ein Beet:
das überblühte das ganze Elend,
den See, die Wolken und den Sturm im Garten

und schrie: Ich bin ganz unvernichtbar!
Ich versenge dem Tod seine kalte Fratze.
Wie alles Rote, Glut und Flammenhafte
aus meinen Schenkeln hurt!
Grüß Gott!

[1913, im Alter von 27 Jahren]

 

Chopin


Nicht sehr ergiebig im Gespräch,
Ansichten waren nicht seine Stärke,
Ansichten reden drum herum,
wenn Delacroix Theorien entwickelte,
wurde er unruhig, er seinerseits konnte
die Notturnos nicht begründen.

Schwacher Liebhaber;
Schatten in Nohant,
wo George Sands Kinder
keine erzieherischen Ratschläge
von ihm annahmen.

Brustkrank in jener Form
mit Blutungen und Narbenbildung,
die sich lange hinzieht;
stiller Tod
im Gegensatz zu einem
mit Schmerzparoxysmen
oder durch Gewehrsalven:
man rückte den Flügel (Erard) an die Tür
und Delphine Potocka
sang ihm in der letzten Stunde
ein Veilchenlied.

Nach England reiste er mit drei Flügeln:
Pleyel, Erard, Broadwood,
spielte für 20 Guineen abends
eine Viertelstunde
bei Rothschilds, Wellingtons, im Stafford House
und vor zahllosen Hosenbändern;
verdunkelt von Müdigkeit und Todesnähe
kehrte er heim
auf den Square d'Orl‚ans.

Dann verbrennt er seine Skizzen
Und Manuskripte,
nur keine Restbestände, Fragmente, Notizen,
diese verräterischen Einblicke -
sagte zum Schluß:
"meine Versuche sind nach Maßgabe dessen vollendet,
was mir zu erreichen möglich war."

Spielen sollte jeder Finger
mit der seinem Bau entsprechenden Kraft,
der vierte ist der schwächste
(nur siamesisch zum Mittelfinger).
Wenn er begann, lagen sie
auf e, fis, gis, h, c.

Wer je bestimmte Präludien
von ihm hörte,
sei es in Landhäusern oder
in einem Höhengelände
oder aus offenen Terassentüren
beispielsweise aus einem Sanatorium,
wird es schwer vergessen.

Nie eine Oper komponiert,
keine Symphonie,
nur diese tragischen Progressionen
aus artistischer Überzeugung
und mit einer kleinen Hand.


[bis 1944]

 

 

 

 

 


Georg Trakl (1887 - 1914)


Die tote Kirche


Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt
Und heben die erloschnen Blicke auf
Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt,
Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.
Der Weihrauch steigt aus güldenem Gefäß
Zur Höhe auf, hinsterbender Gesang
Verhaucht, und ungewiß und süß verdämmert
Wie heimgesucht der Raum. Der Priester schreitet
Vor den Altar; doch übt mit müdem Geiste er
Die frommen Bräuche - ein jämmerlicher Spieler,
Vor schlechten Betern, mit erstarrten Herzen,
In seelenlosem Spiel mit Brot und Wein.
Die Glocke klingt! Die Lichter flackern trüber -
Und bleicher, wie verhängt das Wundenhaupt!
Die Orgel rauscht! In toten Herzen schauert
Erinnerung auf! Ein blutend Schmerzensantlitz
Hüllt sich in Dunkelheit und die Verzweiflung
Starrt ihm aus vielen Augen nach der Leere.
Und eine, die wie aller Stimmen klang,
Schluchzt auf - indes das Grauen wuchs im Raum,
Das Todesgrauen wuchs: Erbarme dich unser -
Herr!


Ermatten


Verwesung traumgeschaffner Paradiese
Umweht dies trauervolle, müde Herz,
Das Ekel nur sich trank aus aller Süße,
Und das verblutet in gemeinem Schmerz.

Nun schlägt es nach dem Takt verklungner Tänze
Zu der Verzweiflung trüben Melodien,
Indes der alten Hoffnung Sternenkränze
An längst entgöttertem Altar verblühn.

Vom Rausch der Wohlgerüche und der Weine
Blieb dir ein überwach Gefühl der Scham -
Das Gestern in verzerrtem Widerscheine -
Und dich zermalmt des Alltags grauer Gram.

 

In einem alten Garten


Resaduft entschwebt im braunen Grün,
Geflimmer schauert auf den schönen Weiher,
Die Weiden stehn gehüllt in weiße Schleier
Darinnen Falter irre Kreise ziehn.

Verlassen sonnt sich die Terasse dort,
Goldfische glitzern tief im Wasserspiegel,
Bisweilen schwimmen Wolken übern Hügel,
Und langsam gehn die Fremden wieder fort.

Die Lauben scheinen hell, da junge Frau'n
Am frühen Morgen hier vorbeigegangen,
Ihr Lachen blieb an kleinen Blättern hangen,
In goldenen Dünsten tanzt ein trunkener Faun.

 

 

 

 

 



Walter Benjamin (1892 - 1940)


Sonette

2.


Hättst du der Welt dein Sterben prophezeit
Natur wär dir vorangeeilt im Tode
Kehrte mit unerbittlichem Gebote
Das Sein in ewige Vergessenheit

Am Himmel ständen sanfte Morgenrote
Zur Stunde da hinglitt dein Körperkleid
Die Wälder färbte alle schwarzes Leid
Nacht überzog das Meer auf leisem Boote

Aus Sternen bildet namenlose Trauer
Das Denkmal deines Blicks am Himmelbogen
Und Finsternis verwehrt mit dichter Mauer

Des neuen Frühlings Licht heraufgezogen
Die Jahrzeit sieht im stillen Stand der Sterne
Aus deines Todes spiegelnder Zisterne.

34.


Ich saß am Abend über mich gebeugt
Und um mich regte sich dein süßes Leben
Der Spiegel meines Geistes blickte eben
Als hättest du aus seinem Grund geäugt

Da dachte ich von dir bin ich gesäugt
In deinen Atem will ich mich ergeben
Denn deine Lippen hangen wie die Reben
Und haben stumm vom Innersten gezeugt

Es ist mein Freund dein Dasein mir entwunden
Ich taste wie der Schläfer nach dem Kranz
Im eignen Haar nach dir in dunklen Stunden

Doch war dein Mantel einmal wie im Tanz
Um mich getan und aus dem schwarzen Rund
Dein Antlitz riß den Odem mir vom Mund.


55.


Ich bin ein Maler der aus Schatten
Das wunderbarste Bildnis malt
Und teurer seine Farben zahlt
Als andre ihre vollen satten

Wenn keiner mehr von ihren prahlt
Erglühen doch die meinen matten
Wie über schwere Grabesplatten
Ein altes Mosaik erstrahlt

Und doch steht Nacht vor meinen Augen
Von Tränen deckt sie ein Visier
Sie müssens aus dem Innern saugen

Mit sehnsuchtstrunkener Begier
Dann wird es als ein Urbild taugen
Dir selber ähnlich ähnlich mir.


64.


Wo sich die Jugend mit dem Tode krönte
Hat sich die Gruft für immer zugetan
Doch legt seitdem der späte Tag dort an
Der herwärts seine letzte Fahrt gewöhnte

Bei seiner Kunst erwacht der große Schwan
Mit hellem Schrei in gelle Frühe tönte
Strömender Mitternächte Leid versöhnte
Als er sich aufhob und auf seiner Bahn

Des Todesschlummers Regenbogen spannte
Von Horizont zu fernsten Horizonten
Darunter sich im Traum der Schläfer wandte

Erflehend ihn indes die nachtbesonnten
Gefilde ließ und schneller niederlenkte
Der Schwan zum Hügel den der Tau besprengte.