Bertolt
Brecht (1898 - 1956)
Gedanken eines Revuemädchens während des Entkleidungsaktes
Mein Los ist es, auf dieser queren Erde
Der Kunst zu dienen als die letzte Magd
Auf daß den Herrn ein Glück bescheret werde
Doch wenn ihr fragt
Was ich wohl fühle,
wenn ich mich entblöße
In schönen schlauen Griffen und des Lichts
Der goldenen Lampen teilhaft, als Stripptöse
Antwort ich: nichts.
Es geht auf zwölf.
Ich komm zu spät zum Bus.
Der Käse ist im andern Laden besser.
Die Dicke sagt: sie geht jetzt in den Fluß
Er hat ein Messer.
Halbvoll. Am Samstag!
Heut wird's wieder zwölfe.
Mehr lächeln. Diese Luft ist ein Skandal.
Halt's Maul da vorn, ich zeig sie dir schon. Wölfe!
Wie ich die Miete zahl...?
Milchabbestellen hab
ich auch vergessen.
Den Hintern aber zeig ich heute nicht.
Ein bißchen schwenken muß ich ihn. Das Essen
Im Gelben Hund ist so, daß man's erbricht.
[1938-1941]
Schlechte Zeit für Lyrik
Ich weiß doch: nur der Glückliche
Ist beliebt. Seine Stimme
Hört man gern. Sein Gesicht ist schön.
Der verkrüppelte
Baum im Hof
Zeigt auf den schlechten Boden, aber
Die Vorübergehenden schimpfen ihn einen Krüppel
Doch mit Recht.
Die grünen Boote
und die lustigen Segel des Sundes
Sehe ich nicht. Von allem
Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz.
Warum rede ich nur davon
Daß die Vierzigjährige Häuslerin gekrümmt geht?
Die Brüste der Mädchen
Sind warm wie ehedem.
In meinem Lied ein
Reim
Käme mir fast vor wie Übermut.
In mir streiten sich
Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum
Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers1.
Aber nur das zweite
Drängt mich zum Schreibtisch.
[1938-1941]
Zur Zeit der grauen Tage
Schrecklich, wie der Zahn der Zeit langsam nagt
Dabei habe ich mich zweimal rasiert
Meine Socken gestopft, meinen Akt fotografiert
Und in allen Südfrüchtehandlungen der Stadt nach Spielkarten
gefragt.
Diese Zeitungen, man ließt sich ganz wund
Und das Leben ist so kurz, und
Einem geschenkten Barsch
Sieht man nicht in den
Mund
Und man kann ja gehen, wenn es einem nicht behagt.
Aber abends wird man mich wieder sehen hinter meinen roten Jalousien
Fressend meine Fußzehn und vor Langeweile krumm
Und wird mich schreien hören wie ein krankes Vieh:
Halloh Sie!
Man schnalle mir ein Lustweib um!
[1920-1923]
Sonett Nr. 11 (Vom Genuß der Ehemänner)
Ich liebe meine ungetreuen Frauen:
Sie sehn mein Auge starr auf ihrem Becken
Und müssen den gefüllten Schoß vor mir verstecken
(Es macht mir Lust, sie dabei anzuschauen.)
Im Mund noch den Geschmack
des andern Manns
Ist die gezwungen, mich recht geil zu machen
Mit diesem Mund mich lüstern anzulachen
Im kalten Schoß noch einen andern Schwanz!
Und während ich
sie tatenlos betrachte
Essend die Tellerreste ihrer Lust
Erwürgt sie den Geschlechtsschlaf in der Brust.
Ich war noch voll
davon, als ich die Verse machte!
(Doch wär es eine teure Lust gewesen
Wenn dies Gedicht hier die Geliebten läsen.)
[1924-1927, aus dem
Nachlaß]
Über die Verführung von Engeln
Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.
Ermahn ihn, daß
er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt -
Doch schau ihm nicht
beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.
[1948-1956, aus dem
Nachlaß]
Erich Kästner (1899 - 1974)
Die junge Dame vorm
Sarggeschäft
Täglich seh ich
sie dort stehenbleiben
und gebannt in jene Scheiben starren,
hinter denen unser Tun und Treiben
nicht beachtend, Särge auf uns harren.
Täglich seh ich,
wie ihr Auge blitzt,
wenn sie in das Fenster blickt.
Was stimmt sie heiter?
Ach, sie prüft nur, ob ihr Hütchen sitzt.
Nichts weiter
Verzweiflung Nr.1
Ein kleiner Junge lief durch die Straßen
und hielt eine Mark in der heißen Hand.
Es war schon spät und die Kaufleute maßen
mit Seitenblicken die Uhr an der Wand.
Er hatte es eilig,
er hüpfte und summte:
"Ein halbes Brot und ein Viertelpfund Speck."
Das klang wie ein Lied. Bis er plötzlich verstummte.
Er tat die Hand auf. Das Geld war weg.
Da blieb er stehen
und stand im Dunkeln.
In den Ladenfenstern erlosch das Licht.
Es sieht zar gut aus, wenn die Sterne funkeln.
Doch zum Suchen von Geld reicht das Funkeln nicht.
Als wolle er immer
stehen bleiben,
stand er. Und war, wie noch nie, allein.
Die Rolläden klapperten über die Scheiben.
Und die Laternen nickten ein.
Er öffnete immer
wieder die Hände
und drehte sie langsam hin und her.
Dann war die Hoffnung endlich zu Ende.
Er öffnete seine Fäuste nicht mehr...
Der Vater wollte zu
essen haben.
Die Mutter hatte ein müdes Gesicht.
Sie saßen und warteten auf den Knaben.
Der stand im Hof. Sie wußten es nicht.
Der Mutter wurde allmählich
bange.
Sie ging ihn suchen. Bis sie ihn fand.
Er lehnte still an der Teppichstange
und kehrte das kleine Gesicht zur Wand.
Sie fragte erschrocken,
wo er denn bliebe.
Da brach er in lautes Weinen aus.
Sein Schmerz war größer als ihre Liebe.
Und beide traten traurig ins Haus.
Wolfgang Borchert (1921 - 1947)
Regen
Der Regen geht als eine alte Frau
mit stiller Trauer durch das Land.
Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,
und manchmal hebt sie ihre Hand
und klopft verzagt
an Fensterscheiben,
wo die Gardinen heimlich flüstern.
Das Mädchen muß im Hause bleiben
und ist doch grade heut so lebenslüstern!
Da packt der Wind
die Alte bei den Haaren,
und ihre Tränen werden wilde Kleckse.
Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren
und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!
Der Kuß
Es regnet - doch sie merkt es kaum,
weil noch ihr Herz vor Glück erzittert:
Im Kuß versank die Welt im Traum.
Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert
und so verächtlich
hochgeschoben,
als wären ihre Knie für alle da.
Ein Regentropfen, der zu nichts zerstoben,
der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.
So tief hat sie noch
nie gefühlt -
so sinnlos selig müssen Tiere sein!
Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt -
Laternen spinnen sich drin ein.
Großstadt
Die Göttin Großstadt hat uns ausgespuckt
in dieses wüste Meer von Stein.
Wir haben ihren Atem eingeschluckt,
dann ließ sie uns allein.
Die Hure Großstadt
hat uns zugeplinkt -
an ihren weichen und verderbten Armen
sind wir durch Lust und Leid gehinkt
und wollten kein Erbarmen.
Die Mutter Großstadt
ist uns mild und groß -
und wenn wir leer und müde sind,
nimmt sie uns in den grauen Schoß -
und ewig orgelt über uns der Wind!
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