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Kinderarmut / Definition
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das Fehlen individueller Ressourcen, Fertigkeiten und Kompetenzen entstehen.”
Vielfach wird jedoch auch nur die Tatsache, dass ein Haushalt von staatlichen Transferleistungen abhängt (u.a. Hartz 4) als Indikator für Armut benutzt.
Soziologische Betrachtungsweise
In dieser Armutsdefinition wird auch der Wandel in der soziologischen Forschung in den letzten Jahren über den Armutsdiskurs ausgedrückt. Nicht mehr der alleinige Mangel an materiellen Mitteln ist das allein entscheidende Kriterium, sondern die Summe aller Bedingungen, die es einer Person unmöglich machen, als vollwertiges Mitglied an einer sozialen Gemeinschaft teilzunehmen. Unter anderem ein zu geringes Einkommen einer Person, der Ausbildungsstand, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, Kenntnisse der Landessprache, kulturelle Bildung sind nur einige der vielen Faktoren, die hierüber bestimmen. Erst, wenn alle diese Bedingungen in der Summe ein negatives Resultat ergeben, kann es zu dem Zustand kommen, der letztendlich entscheidend für ein Gesellschaftsmitglied ist: Man kann nicht mehr mithalten, die Gesellschaft akzeptiert die Person nicht mehr als vollwertiges Mitglied, sie grenzt ihn aus, er wird excludiert. Der Armutsbegriff – im Sinne von Mangel an materiellen Mitteln – ist deshalb viel zu eng gefasst, um die Auswirkungen von Armutsbedingungen zu beschreiben und ist in der soziologischen Forschung weitestgehend durch den Begriff der Exclusion (der Ausgrenzung) ersetzt worden. Diese Überlegungen beruhen unter anderem auf den Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Bourdieu unterscheidet zwischen vier Kapitalformen auf die ein Mensch zurückgreifen kann und die seine Position im sozialen Raum bestimmen. An erster Stelle – und für Bourdieu von größter Bedeutung – wird das ökonomische Kapital angeführt, welches sämtliche Formen des Reichtums umfasst (Einkommen und alle Formen des Vermögens). An zweiter Stelle das kulturelle Kapital, das in „objektivierter Form“ sich aus dem Besitz von Büchern, Gemälden und Kunstwerken zusammensetzt, in „inkorporierter Form“ aus der Bildung, der Ausbildung und allen Bereichen der kulturellen Fähigkeiten und Wissensformen, sowie in „institutionalisierter Form“ aus Bildungstiteln und Zulassung zu Berufen. Das soziale Kapital bildet die dritte Kapitalform und wird bestimmt durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z. B. Familie, Adel, politische Parteien …). Die vorgenannten Kapitalformen bilden zusammen das symbolische Kapital, das auch die gesellschaftliche Wertschätzung einer Person einschließt, welches jener auch ohne die Anrechnung der anderen Kapitalformen gewährt wird. Zwischen den einzelnen Kapitalformen bestehen Wechselbeziehungen, die sowohl zu einer Potenzierung als auch einer Minderung führen können. Diese Theorie von Bourdieu ermöglicht plausible Erklärungen für den Tatbestand, dass zwei Personen mit demselben Einkommen gegebenenfalls sehr unterschiedliche Positionen innehaben.
Politische Betrachtungsweise
Die Armutsforschung erhält ihre Brisanz aber vor allem dadurch, dass Armut bereits im heutigen Ausmaß die soziale Gerechtigkeit in Frage gestellt. Nach John Rawls, dessen Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ noch heute als Grundlage für jede Diskussion um soziale Gerechtigkeit gilt, können bürgerliche Rechte nur realisiert werden, wenn „die Selbstachtung der Bürger/innen als wichtigstes Grundgut überhaupt gewährleistet ist“. Armut und daraus
resultierende Ausgrenzungstendenzen stellen aber sehr wohl die Selbstachtung in Form von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen infrage. Ist aber die soziale Gerechtigkeit infrage gestellt, ist auch das Prinzip der gleichen Teilhabe betroffen. Das Prinzip der gleichen Teilhabe gewährleistet aber erst die vollwertige Mitgliedschaft in einem demokratischen Gemeinwesen. Armut kann somit zu einem gefährdenden Element für eine Demokratie werden.
Ökonomische Betrachtungsweise
In den 90er Jahren hat sich also in der soziologischen Forschung die Diskussion um die Armut zur Fragestellung einer möglichen sozialen Exclusion hin verschoben. Sie zeigt, dass wenn eine derartige soziale Ausgrenzung von ehemaligen Gesellschaftsmitgliedern möglich sein soll, sie in der Öffentlichkeit sozialpolitisch vertretbar sein muss. Die öffentliche Diskussion in den Medien hat deshalb auch zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Sichtweise von Armut geführt. Nicht mehr der „würdige Arme“, der selbst unverschuldet in die Armut gefallen ist und nun Hilfe durch die Solidargemeinschaft benötigt, steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit, sondern vielmehr der Schnorrer, der den Sozialstaat ausbeutet und auf Kosten der Gemeinschaft lebt. Dabei wird darüber hinweg getäuscht, dass wirkliche Hilfe, wie sie in den Zeiten des Wohlfahrtsstaates und der Vollbeschäftigung geleistet worden ist, nämlich in der Form der Integration durch Arbeit mangels Arbeitsplätze, gar nicht mehr möglich ist. Es wird Selbstverschulden vorgeworfen mit Hinweisen z. B. auf fehlende Ausbildung. Blaming the victimes (das Opfer anschwärzen) lautet die Parole. In Selbstverantwortung soll das Individuum seine Qualifikation, entsprechend den sich schnell ändernden Bedürfnissen der Wirtschaftswelt optimieren, um sein Vermarktungspotential in Form einer Selbst-GmbH zu erhöhen. In der Realität konkretisierte sich diese Theorie in Deutschland in dem durch die Hartz-Reformen initiierten „Ich-Ags“. Nicht mehr für die Gemeinschaft (slogan: „das Land aufbauen“, „den Betrieb unterstützen“) wird gearbeitet, sondern das Individuum ist dafür verantwortlich, als Unternehmermensch seine Arbeitskraft optimal zu vermarkten und seine Daseinsvorsorge (z. B. in Form privater Krankenzusatzversicherung) und seine Altersvorsorge (also Rente) in die eigene Hand zu nehmen. Der Schritt aus der Solidargemeinschaft heraus hin zu einer Individualisierung in allen Bereichen der Gesellschaft ist hierbei nicht zu übersehen. Auf der anderen Seite der Gesellschaft, d. h. auf der Seite der „eigentlichen“ Unternehmer, endet damit aber auch die Fürsorgepflicht des Unternehmers für seine Belegschaft, da ja nun auch der Arbeitnehmer sich selbst vermarktet und mit eigenem Risiko Gewinne einfahren kann. Diese neue neoliberale Sicht der Arbeitsverhältnisse gestattet es dann auch moralisch, dass trotz gestiegener Gewinne massenhafte Entlassungen von Mitarbeitern durchgesetzt werden können (s. Deutsche Bank). Wenn es eine neue neoliberale Moral gibt, dann hat sie alleinig die Profitmaximierung zum Ziel. Legitimieren lässt sie sich dann dadurch, dass die Profitmaximierung wieder zu Gewinnen führt, die dann wiederum für soziale Zwecke und u.a. der Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt werden können. Ein Sachverhalt, den wir jedoch in der jetzigen Realität der Wirtschaftswelt relativ selten vorfinden, da Gewinne zumeist an Aktionäre ausgeschüttet werden und Reiche reicher werden und die soziale Polarisierung unserer Gesellschaft weiter voranschreitet. Ist die Individualisierung eine Grundvoraussetzung in einer neoliberalen Gesellschaftsform, so bedingt sie gleichzeitig, dass die Gesellschaft immer stärker von marktwirtschaftlichen Prinzipien durchdrungen wird. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, in Konkurrenz zu dem anderen, geht es um die Selbstverwirklichung, in der Form sich möglichst hohe Geldmengen anzueignen. Diese Monetarisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse wird zu einem immer mehr bestimmenden Element im Zusammenleben in fortgeschrittenen Gesellschaften.
Verblasst auf der einen Seite das Soziale, erstrahlt auf der anderen Seite immer mehr das Ökonomische. In der Werbung und in den Medien findet der Unternehmer-Mensch sein glorifiziertes Abbild in der Person desjenigen, der sich in der Gesellschaft gegen alle Mitbewerber durchsetzt, auch wenn er hierbei zu Ellenbogen und gegebenenfalls kriminellen Akten greifen muss. Verschwunden ist auf diesem Bildschirm der soziale Mensch, der sich auch für die Bedürfnisse von anderen einsetzt. Probleme mit der neoliberalen Moral ergeben sich jedoch, wenn sich der Blick auf die Kinder wendet. Kinder sind schwer als selbstverantwortliche Unternehmer-Menschen denkbar, die für sich selbst sorgen können. Auch wenn sich viel in den Verhältnissen von Kindern als Marktteilnehmer, bedingt durch den ständig wachsenden Kinderkonsum und damit auch als Zielgruppe für die Werbung und positiv gesehen durch die Zuerkennung von immer mehr Grundrechten als eigenständige Subjekte geändert hat, bleiben Kinder letztendlich Schutzbefohlene der Gesellschaft. Dies erklärt aber zu einem großen Teil das enorme Echo in den Medien, welches jeweils die Veröffentlichung von Kinderarmutsberichten hervorruft.
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