Götterdämmerung
im Schwitzfleck Afrikas
Nigeria
das
82. Reiseziel von Karol Wojtila
Der
kurze Aufstieg und lange Untergang eines Dritte-Welt-Ölriesens
Eine
Dokumentation von
Frank Jankowski
aus Anlaß des Papst-Besuches
(21.-23. März 1998)
veröffentlicht im Rheinischen Merkur und in der Jungen Freiheit
Einleitung. Das
Land der Superlative
Nigeria ist ein unpopulärer
Staat. Das war schon immer so, denn es gab und gibt dort weder eine Apartheit
noch eine Serengeti, weder Kriege nach außen noch Fremdenverkehr
nach innen. Und wer weiß schon, daß die 300 Kilometer über
dem Äquator liegende Federal Republic sich gewissermaßen als
'Schwitzfleck Afrikas' auf unserem Globus abzeichnet? Geläufiger
dürfte der Begriff Biafra sein und das nach dieser Region benannte
Kind mit dem luftballongroßen Bauch-Ödem - jenem Symbol für
das Elend der Dritten Welt... Dabei ist Nigeria ein Land der Superlative.
Knapp ein Viertel der gesamten afrikanischen Bevölkerung lebt dort
- 110 Millionen Menschen. Und das auf einer Fläche, die zwar weniger
als ein Dreißigstel des Kontinents ausmacht, dafür jedoch dreimal
so groß ist wie Deutschland. Daraus ergibt sich eine Bevölkerungsdichte
von 100 Menschen pro Quadratkilometer - ein europäischer Mittelwert.
Von sämtlichen Staaten Afrikas ist Nigeria derjenige mit den meisten
Umstürzen und Regierungswechseln - was offenbar mit dem Klima zusammenhängt,
denn alle Länder mit häufigen Staatsstreichen liegen in der
tropischen und subtropischen Zone.
Als einziger afrikanischer Staat taucht Nigeria auf der Liste der zwanzig
bedeutendsten Erdölländer auf - und zwar an elfter Stelle. Auf
der jüngst erschienenen Hitliste der vierzig korruptesten Nationen
der Welt, die von den beiden international renommierten Forschungsunternehmen
Control Risks Group und Industrial Research Bureau erstellt wurde, rangiert
Nigeria auf Platz zwei - gleich hinter Rußland. Hunderte von Geschäftsleuten,
die mit sagenhaften Reibach-Versprechungen dorthin gelockt wurden, können
ein Lied davon singen: Bakschischbeladen reisen sie aus aller Herren Länder
an den Golf von Guinea, um den schnellen Dollar zu machen, und sind dann
heilfroh, wenn sie - abgezockt bis aufs Unterhemd - wenigstens lebendig
wieder heimkommen... Doch Nigeria ist nicht nur ein Land der Vielen, Reichen
und Kriminellen, sondern - neben den zahlreichen zum Teil in der Diaspora
lebenden Sportskanonen, wie dem Bundesliga-Fußballer Jonathan Akpoborie
- auch ein Land der Dichter und Denker. Als erster Afrikaner wurde Wole
Soyinka 1986 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet und 1994 erhielt
der prominenteste nigerianische Regimekritiker, Ken Saro-Wiwa, den mit
375.000 Mark dotierten Right Livelihood Award, also den Alternativen
Nobelpreis. Daß Saro-Wiwa gleich darauf von der Militärjunta
gehängt und Soyinka zum Tode verurteilt wurde, sind zwei weitere,
zugleich die traurigsten, Weltrekorde Nigerias, denn das hatte es bisher
nirgendwo gegeben, nicht einmal in der Sowjetunion oder in Deutschland.
Ein Ölfaß und 350 Käsesorten unter einer Glocke
Nigeria besaß
1970 weit über drei Mrd. Tonnen Rohölreserven. Wenn man damals
mit einer jährlichen Fördermenge von 100 Mio. Tonnen kalkuliert
hätte - so der Höchststand 1993 -, wären die Quellen erst
im zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung versiegt. Selbst bei einem
pessimistisch veranschlagten Absatzpreis von 10 Dollar pro Barrel flössen
also jedes Jahr rund sechseinhalb Mrd. Petrodollars ins Land. Ein solch
beträchtlicher Devisenzufluß sollte wohl ausreichen, möchte
man meinen, um eine landwirtschaftlich so überaus potente Volkswirtschaft
langsam zur höchsten Blüte zu treiben, zumal die Absatzpreise
für Rohöl ständig angestiegen waren (in der Dekade 1971
bis 1981 immerhin von 4 auf 40 Dollar) - weit gefehlt...
Wie soll ich ein Land regieren, in dem es über 350 Käsesorten
gibt?! rief Charles de Gaulle einst resigniert aus. Auf Nigeria bezogen
ließe sich eine weit prekärere Frage formulieren, etwa: Wie
soll man ein Land regieren, in dem 350 Volksgruppen beheimatet sind? Ein
Dilemma, an dem die Engländer nicht ganz unschuldig sind, da sie
im 15. Jh. anfingen, sich all diejenigen Gebiete für ihren Menschen-
und Güterhandel zu erschließen, die 1917 unter der Bezeichnung
Nigeria zusammengefaßt wurden und übrigens um ein Haar 'Negretia'
geheißen hätten, wäre die Journalistin Flora Shaw nicht
auf die glorreiche Idee gekommen, das Gebiet nach dem imposanten, 4400
Kilometer langen Strom zu benennen, der alljährlich rund 200 Mrd.
Kubikmeter Süßwasser in den Atlantik schüttet. Die vier
größten ethnischen Gruppen dieser Region - Haussa, Yoruba,
Ibo und Fulbe - liefern sich seit der Unabhängigkeit erbitterte Machtkämpfe.
Das Biafra-Kind
Am 1. Oktober 1960
wird Nigeria in die Unabhängigkeit entlassen. Damit ist es nach Ghana
(1957) das zweite freie afrikanische Commonwealth-Land. Drei Jahre danach
entdecken Erdöl-Explorateure in den Mangrovensümpfen des Nigerdeltas
riesige Vorkommen eines sehr hochwertigen Erdöls - das sogenannte
Bonny Island Crude, das sich mit der Qualität des europäischen
Nordsee-Brent die Waage hält. Binnen weniger Monate hat dieser Fund
ein krasses Nord-Süd-Gefälle zur Folge. Die schwelenden Animositäten
zwischen den Volksgruppen entzünden sich daran und flammen im Januar
1966 zu einem Putsch auf. Dieser erste Staatsstreich, mit dem sich J.T.U.
Ironsi, ein Ibo, zum neuen Herrscher aufschwingt, läutet eine Ära
der Militärjuntas ein, die vorerst dreizehn Jahre andauern soll.
Aber noch ehe die nigerianischen Schulkinder Ironsis Namen auswendig gelernt
haben, fällt er einem Attentat zum Opfer und Yakubu Gowon übernimmt
die Führung - seine Dynastie enthält das wohl schwärzeste
Kapitel, das Nigerias Geschichtsbücher je werden zu verzeichnen haben
- den Biafrakrieg, ein Rassenkrieg, ein Glaubenskrieg, ein Ölkrieg.
Die im Laufe der Kolonialgeschichte zum Christentum konvertierten Ibos
machen sich bei den muslimischen Haussas, Yorubas und Fulbe von Anfang
an unbeliebt - wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie es schnell zu einem
weit über dem Durchschnitt liegenden Lebensstandard bringen und als
Händler, Juristen und Manager bald auch fast sämtliche Schlüsselpositionen
im Staat besetzen. Plötzlich kocht das böse Blut auf, schreit
nach Aderlaß, spritzt weit übers Ziel hinaus und mündet
in einen Rassenpogrom. Überall im Lande werden Tausende von Ibos
regelrecht abgeschlachtet - manche Insider beteuern, es seien Zehntausende
gewesen. Die übrige Welt nimmt keine Notiz von den Greueltaten am
Niger, denn noch werden sie von den nah- und fernöstlichen Konflikten
am Jordan und am Mekong überschattet. Zu Hundertausenden flüchten
die verfolgten Ibos in den Süden ihrer Heimat und rufen am 30. Mai
1967 die Freie Republik Biafra aus, wo ein Großteil des Erdöls
gefördert und raffiniert wird. Eine Abspaltung Ibo-Biafras können
die anderen Stämme also unmöglich dulden. Und so bricht zwei
Monate später ein furchtbarer Bürgerkrieg aus, der drei Jahre
lang das Land verwüsten und mindestens zwanzigmal mehr Menschenleben
fordern wird als die Zahl sämtlicher im Vietnamkrieg gefallener Amerikaner
- die Quellen schwanken zwischen ein und zwei Millionen.
Und inmitten dieses Hexenkessels hockt ein afrikanisches Kleinkind, ungefähr
so alt wie Michael Jackson, den damals freilich noch kaum einer kennt.
Das bestechend scharfe Portrait dieses Kindes erscheint wenig später
in sämtlichen Massenmedien der zivilisierten Welt. Aufgrund von Hypoproteinämie
(Eiweißmangel im Blut) ist in den Unterhautgewebsspalten seines
Bauches ein Ödem von der Größe eines prall aufgepusteten
Luftballons herangewuchert. Das Kind blickt den Fotografen erstaunlich
wohlwollend, ja geradezu gütig an, aber sein Ausdruck ist spiegellos,
es hat seinen inneren Frieden bereits gefunden. Der medizinische Befund:
Prämortales Hungerstadium nach unzureichender exogener Nahrungszufuhr.
Jetzt ist auch die restliche Welt hellhörig geworden, macht den Krieg
zu ihrer ganz persönlichen Angelegenheit, schlägt sich auf die
eine oder andere Seite und feuert sie tatkräftig an - mit schwerer,
unbezahlbarer Tötungsmaschinerie, die man, als das Geld alle ist,
gratis liefert.
Auf den einsamen Überlandpisten, die sich schnurgerade durch Nigerias
tropische Urwälder ziehen, zeugen noch heute unzählige Bombenkrater
von jenem Bürgerkrieg - sie sind mitunter so groß und so tief
wie die türkisen Swimmingpools, die am Golf von Guinea auf keinem
Millionärsgrundstück fehlen. Wenn man sich bei seinem unverzichtbaren
Leibwächter nach den Menschenleichen erkundigt, die man dort zuweilen
am Straßenrand erspäht, bekommt man zur Antwort, entweder sie
hätten ein Schlagloch nicht gesehen oder sich geweigert, ihr Auto
abzutreten. Geübte Fahrer jagen ihre Peugeots und Toyotas mit 190
Sachen über den Asphalt und weichen den Kratern geschickt aus. Ungeübte
fahren genauso schnell, aus Angst vor Überfällen, und bleiben
trotzdem auf der Strecke. Die Straßenkriminalität Nigerias
ist eine der erschreckensten der Welt. Über die in den Gossen der
Großstädte herumliegenden Leichen erfährt man von einer
dritten Sterbeursache: Verhungert. Wenigstens sind deren Oberkörper
zumeist mit alten Zeitungen oder Blechteilen bedeckt.
Der Siebziger-Jahre-Boom
Die siebziger Jahre
stehen im Zeichen eines so immensen Booms, daß Nigerias neureiche
Politiker vor lauter Geldscheffelei ihre so fruchtbare Landwirtschaft
vollständig vergessen. Sie verjubeln ihre Petrodollars wie einen
Lottogewinn. Der Handel blüht, man nimmt verschwenderisch Kredite
auf und binnen weniger Jahre sprießen im Süden bombastische
Industrieanlagen, Sägewerke, Zementfabriken, Druckereien und Kfz-Montagewerke
aus dem Boden - alles auf Pump. Galten Agraprodukte wie Baumwolle, Erdnüsse,
Kakao, Kautschuk, Palmprodukte und Holz bis Mitte der sechziger Jahre
noch als Exportschlager, so muß der wachsende Bedarf ab Ende der
Siebziger zunehmend durch Importe gedeckt werden, denn die eigenen Felder
liegen mittlerweile brach. Wir haben ausgesorgt, denkt man sich, wertet
stolz den Naira auf, und kann deshalb bald von sich behaupten, nach Kuwait
das teuerste Land der Erde zu sein.
Schnell treiben Patronage und Protektionismus ihre Metastasen durch den
staatlichen Organismus. Die unmittelbaren Folgen dieser törichten
Politik sind Ämterhäufung, Korruption und infantiles Mißmanagement.
Die mittelbaren: Soziale Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, Armut. Diejenigen,
die als Wasserträger oder Autoscheibenputzer bislang einigermaßen
über die Runden gekommen sind, können jetzt nicht einmal mehr
ihre täglich Yam- oder Garriration finanzieren, denn die Nahrungsmittelpreise
schießen durch die Notwendigkeit des Imports in astronomische Höhen.
Wer nicht verhungern will, sieht sich gezwungen, zu stehlen. Aber auf
den Freiluftmärkten, wo alles in Hülle und Fülle zu haben
ist - angefangen von russischem Beluga-Kaviar bis hin zu deutschen Dr.-Best-Zahnbürsten
-, weiß man sich schnell gegen die Diebe zu wehren: Wen man beim
Klauen erwischt, sei es auch nur ein Päckchen Milchpulver, wird mit
vereinten Kräften gejagt, gefangen, ans nächste Straßenschild
gebunden, mit Benzin übergossen und angesteckt.
Alles in Allem der ideale Nährboden für einen Coup d'Etat. Und
im Hochsommer 1975 geschieht er dann auch - nunmehr zum dritten Mal.
Metropolis und die Zweite Republik
Der nächste Staatschef
und Oberkommandierende der Streitkräfte heißt Murtala Ramet
Muhammed - ein Guter, der die Welt mit einem Akt der Vaterlandsliebe verblüfft:
Zum 15. Jahrestag der Unabhängigkeit verkündet er die Machtübergabe
an eine Zivilregierung. Doch sein ambitioniertestes Projekt entpuppt sich
zugleich als das mißliebigste in den eigenen Reihen und so kommt
es im darauffolgenden Jahr, 1976, zum vierten Putsch. Der Umsturzversuch
scheitert zwar, aber er kostet nicht bloß das Leben der fünfzig
zum Tode verurteilten Reaktionäre, sondern auch das des Reformers
- Murtala Muhammed, heute ist einer der größten Flughäfen
des Kontinents nach ihm benannt.
Seine Politik wird fortgesetzt - von Olusegun Obasanjo, später einer
der einflußreichsten afrikanischen Diplomaten, der 1990 den in San
Francisco ausgelobten Africa Prize for Leadership erhält und im Mai
'96 mit dem Menschenrechtspreis der Friedich-Ebert-Stiftung geehrt wird,
wo sein Freund, Helmut Schmidt, die Laudatio liest. Endlich kann man sich
auch dem Bau der neuen Hauptstadt widmen, die in der Mitte des Landes
als Drehweiche zwischen den Religionen fungieren und eine Fläche
einnehmen soll, auf der man Berlin ganz bequem viermal unterbringen könnte:
Abudja. Aus der ganzen Welt werden die renommiertesten Baufirmen zusammengetrommelt
und wenig später wuchert auf der Savanne eine Baustelle, gegen die
sich der Potsdamer Platz heute wie ein Maulwurfshügel ausnimmt. Abudja
- das afrikanische Metropolis, das glorreiche Wahrzeichen des Anschlusses
an die Erste Welt.
Doch die Weltwirtschaftskrise und die anschließende Ölschwemme
machen den Bauherren einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Die Großabnehmer
warten mit radikalen Energiesparmaßnahmen auf, allein in Deutschland
geht der Ölverbrauch zwischen 1979 und '81 von 144 auf 115 Millionen
Tonnen zurück, Brasilien steckt 7,5 Mrd. Dollar in die Methanolgewinnung
aus Zuckerrohr und der Exxon-Konzern rund 3,5 Mrd. in den Abbau des Colorado-Ölschiefers,
in dem Geologen 272 Mrd. Tonnen Öl vermuten - mithin das Dreifache
der damals bekannten Weltvorräte. Die Preise fallen ins Bodenlose
und die Ölscheichs am Niger sehen sich nun außer Stande, ihre
enormen Schuldenlasten zu tragen, geschweige denn, diejenigen Verbindlichkeiten
weiterhin zu bedienen, die tagtäglich durch den Bau der größenwahnsinnigen
Retortenstadt anfallen. Dem deutschen Bauunternehmen Strabag wird lediglich
ein Siebtel der geleisteten Arbeit vergütet. Jede Firma, die noch
etwa zu verlieren hat, läßt alles stehen und liegen und macht
sich schleunigst davon. In Abudja leben heute genauso viele Menschen wie
in Essen. Lagos dagegen, die alte Hauptstadt, wird nach UNO-Schätzungen
bald der größte Slum der Erde sein - mit rund 25 Millionen
Einwohnern.
Ich wünschte, die Kolonialherren kämen zurück!
Um die Importkosten von über zwei Milliarden Dollar zu drücken,
besinnt man sich nun wieder auf den Agrarsektor und ruft mit bunten Plakaten
zur Grünen Revolution auf, doch Pepsi-Cola-Plakate finden bei weitem
mehr Resonanz. Also versucht man es mit einer Vervielfachung der Einfuhrzölle,
doch anstatt die Rechnungen zu drücken, erblüht das Korruptions-
und Schmuggelgeschäft. Verkehrsminister Umaro Dikko, ein Schwager
des Präsidenten Shagari, geht dabei als zweifellos unverfrorenster
Betrüger in die Analen der afrikanische Skandale ein: Innerhalb von
nur zwei Jahren veruntreut er Staatsgelder in Höhe von vermutlich
drei Mrd. Mark. Drei Milliarden - das ist der deutsche Jahresumsatz von
McDonalds - ein einzelner könnte damit (ohne Zinsen) ein ganzes Jahrhundert
lang jeden Tag hunderttausend Mark auf den Kopf hauen.
Dikkos Machenschaften gehen simpel vonstatten: Er kauft Reis mittels öffentlicher
Gelder lagerhausweise ein, verhökert ihn zum doppelten und dreifachen
Preis und schleust die Differenz... na, wohin wohl? Aufgedeckt wird der
sagenhafte Verlust erst, als es zu spät ist, denn Dikko hat sich
kurz vor dem längst überfälligen fünften Putsch ins
Londoner Domizil abgesetzt. Dem neuen Machthaber fällt nichts Klügeres
ein, als sofort dessen gewaltsame Heimholung zu inszenieren, und so gipfelt
die wohl beispielloseste Frechheit der Veruntreuungsgeschichte in den
vermutlich dilettantischsten Coup seit Erfindung des Kidnappings - Nigeria,
eine Nation der Superlativen.
Verdiente Nigeria noch 1980 rund 22 Mrd. Dollar an seinem Öl, so
sind es in Shagaris letztem Legislaturjahr gerade noch zehn - also nicht
einmal ein Fünftel des Einkommens, den damals etwa die kolumbianische
Mafia mit ihrem Drogenhandel erzielt. Die Brachialmethoden, mit denen
der 41jährige ehemalige Ölminister und nun jüngste Juntachef,
Mohammed Buhari, das Chaos zu beseitigen gedenkt, stehen denen der Mafia
in nichts nach. WAI buchstabiert sich der neue Slogan, der dem Volk eingeimpft
wird: War Against Indiscipline. Wer zu spät zur Arbeit kommt oder
seinen Müll nicht entsorgt - Liegt eine Leiche in Ihrer Straße?,
lautet die Überschrift eines Flugblattes -, wandert ins Gefängnis.
Aber selbst die Wiedereinführung der Todesstrafe vermag das Übel
nicht einzudämmen. Und als die Gefängnisse überquellen,
zum Teil von Studenten, die zu fünf Jahren verdonnert werden, weil
sie in Klausur auf des Nachbars Blattes gelinst haben, geht man zum Standrecht
über. Provisorische Militärtribunale dürfen jetzt ohne
weiteres Todesurteile verhängen und gleich auch nach Herzenslust
vollstrekken. Ich wünschte, die Engländer kämen zurück
und würden uns die nächsten fünfzig Jahre regieren, zaudert
der Gouverneur des Bundesstaates Imo.
Der Slapstick-Coup vom 8. Juli 1984
Trotz dieser Zustände
bittet Buhari den Internationalen Währungsfonds um eine Vitaminspritze
von zweieinhalb Mrd. Dollar - 'Peanuts' im Vergleich zu den 21 Mrd., die
der IWF gerade erst den Südkoreanern gewährte, für damalige
Verhältnisse allerdings ein ganzer Batzen. Drei Fünftel dieses
Betrages hat Nigerias Staatsfeind Nummer eins veruntreut - Umaro Dikko,
ein smarter Typ mit aalglatten Gesichtszügen, der im viktorianischen
Exil ein Leben in Saus und Braus führt und sich den Papparazzi gerne
in jenen schmucken Gewändern seines Stammes zeigt. Das schreit nach
Vergeltung. Ein offizielles Auslieferungsbegehren jedoch ist von vornherein
zum Scheitern verurteilt und so heuert Buhari zwei ehemalige Haudegen
des israelischen Geheimdienstes an. Am hellichten Tag überfallen
die Ex-Mossad-Agenten den Milliardär vor seiner Villa, lassen ihm
von dem mitgebrachten Arzt soviel Pentathol in die Vene pumpen, daß
selbst ein Nashornbulle in die Knie gehen würde, stecken ihn zusammen
mit dem Anästhesisten in eine Kiste und geben Fersengeld. Dikkos
Sekretärin schlägt unverzüglich Alarm. Binnen einer Stunde
ist nicht nur die gesamte Londoner Polizei auf den Beinen, sondern auch
jeder Skandal-Reporter, der was auf sich hält. Und nachdem alle Ausfallstraßen
und nigerianischen Einrichtungen abgesperrt sind, trudeln in Stansted
zwei mannsgroße, mit Luftlöchern versehene, Holzkisten ein,
deren Frachtpapiere zu allem Überfluß formale Fehler aufweisen.
Sie sind als Diplomatengepäck getarnt und möchten mit einer
gähnend leeren Frachtmaschine der Nigerian Airways direkt nach Lagos
geschafft werden... Unter lautstarkem Protest werden die Kisten aufgebrochen.
Zum Vorschein kommen ein halbtoter Nigerianer, der wegen der Überdosis
Betäubungsmittel bis heute teilweise gelähmt ist, sowie drei
achselzuckende Israelis. Der ganze Coup, kommentiert die Schweizer Weltwoche,
war jämmerlich dilettantisch vorbereitet. - das paßt zum jüngsten
Versuch des Mossad, die iranische Vertretung in Bern zu verwanzen, aber
keineswegs zu dem Profi-Werk, mit dem das Institut im Sommer 1989 den
schiitischen Scheich Obeid kidnappte, oder damals Adolf Eichmann aus Buenos
Aires - nicht etwa in einer phantasielosen Kiste, sondern filmreif, in
der Verkleidung eines kranken El-Al-Stewards.
Vorbereitung zum Despotismus
Im Sommer 1985 putscht
sich der Fulbe Ibrahim Babangida an die Spitze. Mit Hilfe des Mossad gründet
er sogleich den berüchtigten SSS (State Security Service), der den
Vergleich mit dem stalinistischen Tscheka nicht zu scheuen braucht und
beweist vor allem dann großes Talent, wenn es darum geht, Andersdenkenden
Furcht einzuflößen. Nachdem er großherzig die Pressefreiheit
ausgerufen hat, wird ein kritischer Journalist von einer Bombe zerrissen.
Am 2. August 1989 muß der bekannte Feuilletonist Dap Dorman für
einen unvorsichtigen Artikel zu Kreuze kriechen: No Offence meant!.
Als Babangida sich jedoch anschickt, mit dem damals prominentesten Menschenrechtler,
Gani Fawehinmi, kurzen Prozeß zu machen, weil der Jura-Professor
ein paar blutrünstige SSS-Schergen vor den Kadi zerren wollte, überschlagen
sich die internationalen Proteste. Im Gegensatz zu seinem unerbittlichen
Amtsnachfolger läßt Babangida sich noch davon beeindrucken
- er schenkt dem Mann die Freiheit und obendrein 10.000 Naira - für
dieses Geld kann man damals ein Mountainbike erwerben - immerhin.
Visiten englischer Politiker vermögen die junge Junta keineswegs
zu beeindrucken. Als Margret Thatcher 1988 ihren Besuch ankündigt,
zeigt man ihr die kalte Schulter. Und als die mächtige Potentatin
dann doch da ist, wird sie als rassistisch und arrogant verunglimpft sowie
als Mutter der Apartheid bezeichnet. Den letzten Affront kann man verstehen.
Zwei Fünftel aller afrikanischen Staaten stehen damals unter der
Fuchtel militaristisch-totalitärer Regimes, aber fast alle setzen
sich konsequent für die Bekämpfung der Apartheid ein - Nigeria
spielte hierbei von jeher eine energische Vorreiterrolle.
Den Bach runter
Nach vierzehn Jahren
finden 1993 erstmals wieder demokratische Wahlen statt, doch General Sani
Abacha (sein Name wird wie der seines Vorgängers auf dem zweiten
a betont) anulliert das Ergebnis und schwingt sich kurzerhand selbst in
den Sattel des hohen Rosses. Er reißt die Macht an sich, beißt
sich wie ein Kampfhund in ihr fest und läßt sie nicht mehr
los. Unter seiner Fuchtel geht nun auch das letzte bißchen Ansehen
Nigerias den Bach runter. Nach Vorbild der Schreckgespenster des postkolonialen
Afrikas - Amin, Bokassa, Mobuto - wirft auch Sani Abacha binnen kürzester
Zeit sämtliche Rest-Werte über Bord - mit Ausnahme derjenigen
natürlichen, die von einem der großen Mineralölkonzerne
vorgeschrieben werden - was auf dasselbe Symbol hinausläuft, auf
jenes längs durchgestrichene S.
Der ehemalige Verteidigungsminister mutiert zum schlimmsten Feind des
eigenen Landes. All die bekannt gewordenen Ermordungen, die auf Abachas
grüne Kappe gingen und nach wie vor gehen, all die namhaften und
namenlosen Namen von Gefolterten und willkürlich Verhafteten aufzulisten,
die dieser Pitbull auf dem Gewissen hat, würde den Rahmen dieses
Artikels bei weitem sprengen, dennoch...
Leichen pflastern seine Herrschaft
Moshood Abiola, der
rechtmäßige Wahlsieger vom Vorjahr, verschwindet 1994 im Gefängnis.
1995 wird zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ein Nobelpreisträger
offiziell hingerichtet - Ken Saro-Wiwa. Mit ihm sterben sechsundzwanzig
weitere Regimegegner am Galgen. Die einzige Reaktion der übrigen
Welt: Großbritannien suspendiert Nigerias Commonwealth-Mitgliedschaft.
Im Sog einer ganzen Verhaftungswelle, angeordnet, um einem angeblichen
Staatsstreich vorzubeugen, wird Ex-Regierungschef Olusegun Obasanjo, der
Vater der II. Republik, das Gewissen Nigerias,
der Freund Helmut Schmidts, festgenommen und eingesperrt - ohne Anklageerhebung,
ohne offizielle Meldung. Abachas Marionetten verurteilen ihn zu lebenslanger
Freiheitsstrafe. Anschließend kommen auch seine Anwälte, Tunji
Abayomi und Abdul Oro hinter Gitter. Der Hauptbelastungszeuge gegen Obasanjo
gibt später zu, unter Folter ausgesagt zu haben. Abacha bleibt weiter
an der Spitze der Macht. Das Verlagsgebäude der regimekritischen
Zeitungen Tempo und AM News brennt im Januar 1996 bis auf die Grundmauern
nieder. Gleich darauf werden in Schauprozessen angeblich Verdächtige
des Mordes am bekannten Oppositionspolitiker Rewane angeklagt, der zwei
Monate zuvor erschossen worden war - vermutlich von Abachas Söldnern.
Im Juni wird Kudirat Abiola ermordet - die Frau des inhaftierten Präsidenten.
Eine Farce: Sani Abacha setzt eine Belohnung auf die Ergreifung der Täter
aus - er dürfte sie in den Reihen der berüchtigten Kill-and-go-Truppe
finden, die schon in Saro-Wiwas Heimatregion, dem Ogoni-Land, zahllose
Morde im Auftrag der Diktatur begangen hatte. 1997 wird Wole Soyinka in
Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er fordert einen internationalen Wirtschaftsboykott
gegen Nigeria, wie damals gegen Südafrika, sowie den endgültigen
Ausschluß aus dem Commonwealth. Das Argument, die Apartheid sei
schlimmer gewesen, weil programmatisch, läßt er nicht gelten:
Nelson Mandela lebt, Ken Saro-Wiwa ist tot. Die USA sind mit 40% der weitaus
größte Abnehmer nigerianischen Öls, das nach wie vor zu
über 95% den Außenhandel dominiert. Spanien bezieht etwa zehn
Prozent der Ölexporte, wir Deutschen dagegen, die wir hauptsächlich
aus Rußland, Norwegen, England und Libyen importieren, lediglich
vier. Obwohl Nigeria den Ölabsatz zwischen 1990 und 1996 von 91 auf
111 Mio. Tonnen pro Jahr steigert, verringern sich die Jahreseinnahmen
um rund acht Prozent auf 10,6 Mrd. Dollar, da die Rohölpreise stetig
sinken - von 22,3 auf 15 Dollar pro Barrel. Der Irak beispielsweise, der
noch 1990 100 Mio. Tonnen zutage förderte, drosselte seine Produktion
bis '96 auf 30 Mio. Tonnen.
Kurz vor der Jahreswende 97/98 schneidet Abacha sich zweimal ins eigene
Fleisch: Obasanjos früherer Vizepräsident, Shehu Musa Yar'Adua
- ein Stammesgenosse des Diktators, was gerade in Nigeria viel bedeutet
- kommt auf mysteriöse Weise im Kerker ums Leben. Dann läßt
er seinen eigenen Stellvertreter, General Oladipo Diya, verhaften - spätestens
jetzt wissen es auch Abachas Freunde: Keiner ist vor der Willkür
dieses Wahnsinnigen mehr sicher. Und als ob der Dreck vor der eigenen
Haustür nicht groß genug wäre, mischt sich der Despot
nun auch noch in die Angelegenheiten Sierra Leones ein: Ein nigerianisches
Kriegsschiff beschießt im Mai die Hauptstadt Freetown...
Götterdämmerung
Der deutsche PEN trat
mehrmals für inhaftierte, mißhandelte nigerianische Autoren
ein, im letzten Dezember für Akinwumi Adesokan. Ein weiterer, Ogaga
Ifowodo, wurde diesen Januar sogar zum Ehrenmitglied ernannt - doch auf
Sani Abacha macht ein deutscher Füller natürlich keinen Eindruck.
Aber etwa die Hälfte aller Nigerianer sind Christen. Und vom 21.
bis zum 23. März wird Karol Wojtyla dem Schwitzfleck Afrikas, dem
zweitkorruptesten Land der Erde einen päpstlichen Besuch abstatten
- der zweite seit 1982. Der Papst komme damit in ein Land, für dessen
Machthaber augenscheinlich die Götterdämmerung angebrochen sei,
schreibt die Katholische Nachrichtenagentur. Als offizieller Anlaß
dient die Seligsprechung eines der ersten afrikanischen Mönche, des
Trappisten Cyprian Tansi (1903-64). Tansi hatte als junger Pfarrer den
kleinen Francis Arinze getauft, der heute als einflußreichster afrikanischer
Kardinal im Vatikan residiert - das eigentliche Motiv der strapaziösen
Visite dürfte somit eine Levitenlesung während des Höflichkeitsbesuches
beim Staatsoberhaupt im State House von Abudja sein, der gleich als erstes
auf dem Programm steht. Für den Pilger im Petrusamt sei dies keine
neue Erfahrung; sein kompromißloses Eintreten für die Menschenrechte
habe bereits mehreren Regimen den Todesstoß versetzt. Weder Baby
Doc Duvalier in Haiti, Stroessner in Paraquay, Marcos auf den Philippinen
noch Pinochet in Chile hätten sich in ihren Sesseln halten können,
nachdem der Papst ihren gepeinigten Untertanen den Rücken gestärkt
hätte - so zumindest sieht es das apostolische Sprachrohr. Nun ja,
man darf gespannt sein, was der mächtigste Christ jenem mehrfachen
moslemischen Todsünder predigen wird, über den Erzbischof Tutu
unlängst urteilte: Wir haben es mit einem boshaften Menschen zu tun.
Ein Ölbykott würde auch in Abachas Dickkopf Wirkung zeigen.
Nigerias Auslandsverschuldung beträgt 35 Mrd. Dollar, die durchschnittliche
Inflationsrate der letzten zehn Jahre liegt bei 35%. Im Sommer soll eine
demokratische Regierung gewählt werden - wer's glaubt wird selig.
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