George Martin
"Summer
of love"
MacMillan,
London 1994.
Übersetzung
von Frank Jankowski
für
den Henschel Verlag
der Dornier Medienholding
bei
den hier verwendeten Texten handelt es sich
um eine Manuskriptversion -
die Endfassung liegt mir in digitaler Form nicht vor
- daher die gelegentlichen Holprigkeiten -
(bitte
auch um Nachsicht für evt. übersehene ä/ö-Irritationen,
die bei der Konvertierung auftraten)
V o r w o r t
Die Bücher über
die Beatles lassen sich mittlerweile zu einem derart hohen Berg aufschichten,
daß man vielleicht eine Art Gesetz gegen jedes weitere Beatles-Buch
erlassen sollte. Die meisten wurden von Leuten geschrieben, die die Geschichte
der 'Fab Four' aufgemotzt und katalogisiert haben, ohne selbst je eine
Rolle darin gespielt zu haben. Ich fand all diese Darstellungen fehlerhaft.
Mein eigenes Buch ist vielleicht gar nicht so grundlegend anders, denn
ich verlasse mich auf den unverläßlichsten aller Informanten,
auf mein Gedächtnis. Jemand sagte unlängst, daß jeder,
der behauptet, sich an die 60er Jahre zu erinnern, eigentlich gar nicht
dabei gewesen sein kann. Ich weiß genau, was er meint. Unter den
schriftlichen Zeitzeugnissen, die ich gesichtet habe, ist ebenfalls eine
Menge unverläßlich: Wir betrachten das Leben alle durch verschiedenfarbige
Brillengläser. Deshalb wird im folgenden eine individuelle Sichtweise
vermittelt, die in erster Linie auf meinen persönlichen Erinnerungen
beruht.
Vor ein paar Jahren war ich mit Paul in den AIR Studios, und als die alten
Knacker, die wir geworden waren, schwelgten wir natürlich in Erinnerungen.
Plötzlich hatten wir eine Meinungsverschiedenheit über eine
lächerliche Kleinigkeit. Ich sagte, daß George irgend etwas
gemacht habe. Und Paul sagte "Nein, das war Ringo." Wir waren
uns beide vollkommen sicher. Dann mußten wir lachen. "Mein
Gott!" rief ich aus, "wenn wir es schon nicht auf die Reihe
kriegen, wer zum Teufel dann?" Henry Ford hatte recht, als er sagte
"history is bunk", Geschichte sei Quatsch. Aber dann ist es
so, wie es in dem Song heißt, "It really doesn't matter if
I'm wrong I'm right...", "Es ist wirklich egal, ob ich recht
habe oder nicht..."
Es gibt eine ganze Menge Menschen, denen ich danken möchte. Wenn
irgend jemand den unmöglichen Titel "Fünfter Beatle"
verdient hat, dann ist das Neill Aspinall. Ohne jemals im Rampenlicht
gestanden zu haben, war er ihnen vom ersten Tag an treu ergeben, indem
er ihnen half, sich in ihrem komplizierten Leben zurechtzufinden. Ich
danke Dir, daß Du mir geholfen hast, nicht unterzugehen in dem Meer
von Juristen auf beiden Seiten des Atlantiks, als ich 1993 The Making
of Sgt. Pepper für das Fernsehen produzierte.
Dieser Film war der Ausgangspunkt für Summer of Love. Ich fühle
mich Rupert Perry von EMI Records zu Dank verpflichtet, weil er das Potential
einer Fernsehsendung erkannte, die den Zuschauer durch den kreativen Herstellungsprozeß
eines besonderen Beatles-Albums führt. Dank gebührt auch meinem
Co-Produzenten, Nick de Grunwald, für seine Geduld und Beharrlichkeit,
und dafür, daß er unseren Regisseur, Alan Benson engagierte,
dessen begabtes Auge The Making of Sgt. Pepper zu einem Film gestaltete,
der in vielen Ländern Auszeichnungen gewann. Melvyn Bragg leistete
uns Beistand, wann immer wir ihn brauchten und verschaffte uns einen englischen
Fernsehauftritt in seiner hervorragenden South Bank Show. Ohne den Weitblick
von Etienne de Villiers, dem TV-Präsidenten von Buena Vista International,
wäre unser Film nicht zustande gekommen. Etienne gab dem Projekt
nicht nur seinen Segen, sondern überredete auch noch die Disney Corporation,
es zu unterstützen.
Da ich in der eigenwilligen Welt der Literatur ein überzeugter Do-it-yourself-Mensch
bin, brachte ich Summer of Love mit mehreren Unterbrechungen zur Welt.
Und ich schulde Charles Armitage insofern meinen Dank, als er mich taktvoll
darauf hinwies, daß es grundsätzlich besser sei, wenn das Buch
eine angemessene Weile vor meiner Todesanzeige erscheint. Vielen Dank
an William Pearson, der meinem Gedächtnis mit sondierenden Fragen
clever auf die Sprünge half, und so lange an meiner Seite schuftete,
bis die ganze Arbeit getan war. Außerdem bin ich unserer Verlegerin,
Georgina Morley, für ihre Hilfe und Führung sehr verbunden.
Meine Freunde Ken Townsend und Alan Rouse bei Abbey Road, meinem alten
Stammplatz, waren ausgesprochen großzügig mit ihrer Hilfe und
opferten viel von ihrer Zeit, worüber ich mich sehr gefreut habe.
Von unschätzbarem Wert war Mark Lewisohns Mühe, meine Erinnerung
vor Umwegen und Abwegen zu bewahren. Bedanken muß ich mich auch
bei Ann Denvir und Tommy Hanley von Apple für ihr Bildmaterial, und
sowohl William als auch ich mächten Andy Davies und Richard Free
für ihre Hilfe danken, die Beatles-Memorabilien auszugraben.
In heimatlicheren Gefilden hat mir meine gute Freundin und Assistentin
Shirley Burns, die so manches über sich ergehen lassen mußte,
mit schmeichelhaften Worten immer wieder Mut zugesprochen. Und ich säße
wahrhaftig tief in der Patsche, hätte mir meine geliebte Frau Judy
nicht geholfen, all die Ups and Downs, die guten und die schlechten Tage
mit mir zusammen in Wort und Tat zu rekapitulieren, und hätte sie
mich nicht immer wieder zum Lachen gebracht, als es mir schlecht ging.
Und schließlich gilt mein Dank und meine tiefe Zuneigung vier faszinierenden,
unmöglichen, enorm talentierten und verehrungswürdigen jungen
Männern, die vor rund dreißig Jahren unser aller Leben veränderten.
Dies ist ihre Story.
p r o l o g
Es war der Sommer
der Liebe.
B-52-Bomber der US Air Force warfen täglich 800 Tonnen Sprengladung
über Nordvietnam ab; Mao Tse-tungs Rote Armee hielt ganz China im
Würgegriff; und die Ibos in Biafra verhungerten, wenn sie nicht vorher
schon einem Massaker zum Opfer gefallen waren.
Doch da wo ich saß, in EMIs Abbey Road Studios in West-London, gaben
sich Tausende von Menschen dem Frieden und der Liebe hin. Sie stiegen
aus, ließen ihr Haar langwachsen, bemalten ihre Kärper und
erfanden den Sex. Sie diskutierten über Revolution und ihr seelisches
Gleichgewicht. 'Flowers' gaben ihnen 'Power'. Sie hatten Pot und Acid,
Optimismus und Enthusiasmus. Sie hatten 'Happenings', 'Be-Ins' und 'Love-Ins'.
Sie hatten Idealismus, Energie, Geld und Jugend. Und sie hatten noch etwas
anderes. Sie hatten Musik.
Die good Vibrations stellten sich ein - durch Hendrix und die Who, durch
Jagger und durch Joplin, durch Dylan und die Beach Boys und die Doors
und Tamla Motown. In Hausfluren und Schlafzimmern, Friedens-Camps und
Parks, in Baracken und Hochhäusern und in Wohnungen auf der ganzen
Welt: Von Rio bis Rimini, von Dallas bis Djibouti schalteten sie zu Millionen
ihre Anlagen ein und sangen mit.
Am 1. Juni 1967 hörten sie das Trompetensignal, den Lieblingssound
einer ganzen Generation.
Es war ein bahnbrechendes Album der Beatles. Es war die Hippy-Symphonie
No.1 und hieß Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band.
Und es war nach wie vor der Sommer der Liebe.
Sgt. Pepper's Lonely
Hearts Club Band war eine musikalische Splittergranate, deren Sprengkraft
noch heute zu spüren ist. Sie packte die Welt der Popmusik beim Kragen,
schüttelte sie heftig durch und ließ sie benommen aber schwanzwedelnd
auf Wanderschaft gehen. Ebenso, wie sie die Bedeutung der Popmusik veränderte,
veränderte sie auch das gesamte Wesen des Plattengeschäfts -
und zwar für immer. Niemals hatte man etwas gehört, was auch
nur die entfernteste Ähnlichkeit mit Sgt. Pepper gehabt hätte.
Das Album erschien zu einer Zeit, als die Menschen nach etwas Neuem dürsteten,
und doch verblüffte sie gerade das Neue daran. Ich selbst hatte bestimmt
am wenigsten damit gerechnet!
Sgt. Pepper trieb einen mächtigen Keil in das Herz der britischen
Popmusik; viele betrachten das Album heute als die Wasserscheide. Indem
sie sich selbst (und mich) sechs Monate lang im Studio einschlossen und
ihr eigenes Ding machten, stellten die Beatles all das in Frage, was die
anderen in diesem Geschäft taten. Die Frage lautete: Machst du Musik
oder einfach bloß Geld? Bläst du ein musikalisches Kaugummi
auf, oder spielst du Rock mit einem harten Kern? Bis zu diesem Zeitpunkt
waren die Beatles wohl eher Kaugummi-Künstler gewesen. Mit Sgt. Pepper
markierten sie eine Grenze und überschritten sie gleichsam.
Die Beatles selbst haben nie behauptet, daß Sgt. Pepper wahre Kunst
sei, und sie haben auch nie irgendeine Form von musikalischer 'Integrität'
angestrebt. Sie wollten einfach nur etwas anderes machen, und Sgt. Pepper
war etwas anderes. Heutzutage, wo die Rockmusik in ihrer neuen Gestalt
kommerziell ausgeschlachtet wird, sind die Unterschiede zwischen den zwei
Formen der Musik verschwommen. Aber es gibt sie noch, und Sgt. Pepper
legte den Grundstein dafür.
Mit Sgt. Pepper hielten
die Beatles der Welt einen Spiegel vor. Und in diesem Spiegel sah die
Welt ein brillantes Abbild seines kaleidoskopischen Selbst von 1967. Sie
sah nicht das torkelnde und oftmals absurde Herumgeflippe der Hippy-Bewegung,
sondern deren perfektes Image - ein formvollendetes Ideal. Nicht die elende
Gosse der Drogenabhängigkeit, sondern die verblüffende Möglichkeit
kreativer Realitätsentstellung.
Wie dem auch sei, dies war eine 40-Minuten-Vision, bei der man sich einklinken
und Fun haben konnte. Pepperland war ein Ort, wo Freunde einem halfen,
klarzukommen, Verkehrspolizisten zum Tee kamen, Löcher gestopft werden
konnten, und Mister Kite allen eine herrliche Zeit versprach. In diesem
Schlaraffenland war alles viel besser.
Dieses kuriose und wundervolle Album war mehr als ein Tusch für die
Love-and-Peace-Bewegung - viel mehr sogar. Es beinhaltete alles mögliche,
aber mit Sicherheit kein Kaugummi. "You might not notice that the
lights had changed." Es war ein so überaus eigentümliches
Album: Einige Songs schienen - nun ja, tiefschürfend zu sein. Ein
ganzer Batzen der Texte war gänzlich unergründlich. Die Leute
verbrachten Stunden, ja Tage damit, sie zu entschlüsseln. Journalisten
wurde viel Geld gezahlt, damit sie darüber schrieben. Die Beatles
schienen etwas auszusagen, eine Botschaft zu verkünden, die niemals
ganz klar war, egal wie oft wir zuhörten - und wie wir alle zuhörten!
"Within You Without You" - Was um alles in der Welt hatte das
zu bedeuten? War es überhaupt von dieser Welt? War es nicht das Mantra
einer anderen Welt, außerhalb menschlicher Zeit und menschlichen
Raums, ätherische Traumphilosophie? Es kapselte die uralte Weisheit
des Ostens und der vedischen Mysterien ein. Es war da draußen und
stemmte sich gegen die Grenzen des Karmas. Das war wahrhaftig 'abgefahren'.
Es war wundervoll. Die Beatles schrieben nun keine spekulativen Songs
mehr, um die Menschen aufzumuntern - davon hatten sie sich Lichtjahre
entfernt. Sie waren Mystiker geworden!
Sgt. Pepper hatte allerdings noch mehr Trümpfe in seinem schrillbunten
Ärmel. Es war ein besonderer Ort, eine Traumwelt, in der wir alle
unversehens über unsere perfekte Liebe stolpern konnten, dort, am
Drehkreuz, und wo man mit einem 'Newspaper Taxi' nach Nirwana gezaubert
wurde. Es war eine Eskapisten-Phantasie. Genau das.
Aber Momentchen mal. Kaleidoscope eyes, 'Kaleidoskop-Augen', Tangerine
trees, 'Pampelmusenbäume'? Rocking horse people eating marshmallow
pies, 'Schaukelpferdmenschen, die Marshmallow-Strudel essen'? He blew
his mind out in a car, 'Er hauchte in einem Auto seine Seele aus'? Wir
reden psychedelisch. Funny cigarettes, 'Witzige Zigaretten'? 'Lysergsäurediäethylamid'?
Luden uns die Beatles ein, die Kiffer-Revolution mitzumachen, unser beschränktes
Bewußtsein zu erweitern und uns wie der bäse Doktor Leary zu
verhalten? Gott bewahre!
Bewußtseinserweiterung. Das war eine heikle Angelegenheit. Die Menschen
könnten anfangen, Fragen zu stellen. Wir könnten subversive
Reden schwingen. Die Beatles waren in der Tat politische Revolutionäre;
sie mißbrauchten ihre Macht, jene furchteinflößende Macht,
die ihnen durch die Lobhudelei der Massen verliehen worden war. Sie unterminierten
den Staat mit ihrem verderblichen Pepper-Beispiel, und zwar auf die übelste
aller Macharten - durch die Musik!
Aber wurde dieses Album hier nicht viel zu ernst genommen? War es nicht
viel eher eine Ironie; nichts weiter, als daß die begabteste Popgruppe
der Geschichte ihr bestes Pferd aus dem Stall ließ? Und war es dann
nicht bloß ein harmloser, teilweise vielleicht auch satirischer
Schnappschuß von einer verworrenen, verrückten Welt? Ja, womöglich
war es das. Aber andererseits...
Mit einem Wort, Sgt. Pepper war alles für alle. Die Welt blickte
hinein und sah, was sie sehen wollte. Wie jede wahrhaft gute Popmusik
reflektierte sie auf eine irgendwie unsystematische Weise ihr Leben und
ihre Zeit. Dennoch dachten viele, es handele sich um ein sehr zielgerichtetes
Statement. Es gab ebensoviele 'Interpretationen' ihrer 'Botschaft' wie
Menschen, die bereit waren, sie sich anzuhören - und über das
Plattencover zu sinnieren. Die BBC traf immerhin eine schnelle Entscheidung:
Sie ächtete den Song "A Day In The Life" noch im selben
Moment als das Album herauskam - mit der Begründung, daß es
"als Aufforderung zum Drogenkonsum aufgefaßt werden könne".
Das enorme Brimborium, das um das Erscheinen dieser Platte veranstaltet
wurde, ist ein Indikator für die schier unglaubliche Meinungsvielfalt
und das erstaunlich vielköpfige Aufblühen des Talents der Beatles,
das durch Sgt. Pepper zum Ausdruck kam.
Was hatte dieses Album aber nun schließlich zu bedeuten? Niemand
wußte es bestimmt. Niemand konnte es sagen. Und dies war eine seiner
größten Stärken - seine fast vollständige Obskurität.
Man war davon überzeugt, daß es irgendeinen tieferen Sinn barg.
Da gab es zunächst einmal dieses Plattencover. Weshalb waren all
die Kultur-Ikonen darauf abgebildet, wenn sie nicht irgend etwas bedeuteten?
Warum waren sämtliche Texte abgedruckt - zum allerersten Mal auf
einem Cover -, wenn die Beatles keine Botschaft daran knüpften? Und
dann war da diese unendliche Vieldeutigkeit der Wörter. Man konnte
sie tagelang durchkauen, immer und immer wieder, aber man war hinterher
kein bißchen weiser.
Wie seine Schöpfer war Sgt. Pepper in seiner Gesamtheit größer
als in der Summe seiner einzelnen Bestandteile. Jeder konnte sich seinen
individuellen Reim auf die Songs machen. In einigen Fällen waren
sie ziemlich direkt. Doch in ihrer Gesamtheit fügten sie sich zu
etwas Kostbarem und Sonderbarem zusammen - etwas, das Dekonstruktion heraufbeschwor.
Sgt. Pepper's Lonely
Hearts Club Band drückte auf perfekte Art und Weise ein Gefühl
aus, das damals gerade sehr nachhaltig in der Luft schwebte: Daß
alles und jedes für jedermann zu haben war. Für ein paar kurze
Jahre wurde die Welt wieder in ihre Jugend zurückversetzt. Das Leben
war ein Abenteuerspielplatz, auf dem man nach Herzenslust herumtollen
konnte. Gut gepolstert durch ein Klima des Aufschwungs und der annähernden
Vollbeschäftigung, hatten die jungen Leute den Raum, die Zeit und
das nötige Einkommen, um sich dem endlosen Experiment der Selbstfindung
hinzugeben. Wenn man es nicht auf geraden Bahnen schaffte (aber wer wollte
das schon?), dann schaffte man es in der 'Gegen-Kultur' und tankte mit
Drogen, Sex, östlicher Philosophie und Rockmusik auf. Waren die Beatles
nicht ein lebender Beweis dafür, und war Sgt. Pepper nicht das Flaggschiff
dieses Beweises? Sie hatten durch ihre Musik gezeigt, daß man, wenn
man Lust dazu hatte, sich selbst unendlich oft und ganz nach Belieben
neu erfinden konnte. Also... hätten wir das nicht alle tun können,
wenn wir uns selbst genügend Raum und Zeit gaben, unsere Köpfe
befreiten und vielleicht die Räder ein bißchen mit Pot schmierten?
Nun ja, konnten wir das? Sgt. Pepper würde uns die Antworten darauf
geben...
Für mich waren die Sixties ein Love-In. George Harrison, South Bank
Show.
Sgt. Pepper artikulierte
jenes große Aufwallen von Lebendigkeit und Energie, das in den Sechzigern
über England hinwegfegte, am allerbesten. Die Beatles waren Vorreiter
der "Swinging London" Szene mit ihrer Carnaby Street und der
ModeSchöpferin Mary Quant. Die alte Ordnung schien zu zerbröckeln,
die neue Ordnung stand hoch im Kurs. Respekt war aus der Mode gekommen,
Respektlosigkeit, der John-Lennon-Stil, war 'in'. Nicht jedem schmeckte
das, aber plötzlich, mit einem Peng, war die Zukunft da. Alles war
in Bewegung. Die Kunst war zum Pop avanciert. Aldrich und Truffaut, Polanski
und Lumet, Chaplin und Antonioni - ein Wahnsinnsaufgebot von Filmemachern
war in der Stadt, die vällig neue Filme drehten. Das Theater ersetzte
das Mittelstandssofa durch eine Arbeiterspüle. Das Radio erlebte
eine ähnliche Revolution, der sich viele anschlossen: Privatsender
und Öffentlich-Rechtliche, "Caroline" und "Radio One"
- ihre Wellen vibrierten jetzt im manischen Beat-Rhythmus der Popmusik
durch den Äther. Die Mode war im Overdrive: Die Höhe des Rocksaumes
war das Hächste in der ganzen Stadt, und das wollte was heißen;
die Hersteller von afghanischen Jacken gingen zur Rund-um-die-Uhr-Produktion
über. Chelseas King's Road erstrahlte von der Buntheit der Miniröcke,
duftete nur so nach Weihrauch, rasselte vor lauter Halsgehängen mit
Lovebeads und klingelte vor lauter Glöckchen. Selbst das achtbare
Queen's-Englisch wurde durch die Akzeptanz der neuen Superlative eines
neuen Zeitalters massakriert: 'gear', 'hip', 'fab', 'with-it', 'swinging',
'groovy'...
England stellte zu jener Zeit etwas dar in der Welt. Und es war die Popmusik,
die dieses leuchtende Feuer am Brennen hielt. Seit etwa 1963 wurde die
Szene jede Woche, jeden Tag fast, von phantastischen neuen Gruppen oder
Sängern dominiert; und das waren nicht bloß irgendwelche alten
Bands, die irgendwelche alten Songs aufpeppten, sondern die Originale
der Kinks, der Rolling Stones, Procol Harum und der Who. 'A whiter Shade
Of Pale', 'Like A Rolling Stone', 'My Generation', 'House Of The Rising
Sun', '(I Can't Get No) Satisfaction'... Diese Art von Musik hörten
wir zum ersten Mal, ganz unabhängig von den Songs der Beatles oder
von den tollen Sachen aus den USA. Das muß man sich mal vorstellen.
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