Menschenpenisse und theatralische Masturbierer (Deutsche Film-Markenzeichen?)
Mi., 26.4.23 — “Roter Himmel”, gestern im gediegenen Delphi. Christian Petzold. Petzold? Musste nochmal kurz nachschauen; ach ja, seine “Yella” war mir in Erinnerung, und seine “Barbara” (stark!). Roter Himmel: Gediegen-bewegender Vorspann, betörende Musik: „In My Mind“ der österreichischen Band „Wallners“ (Petzold, so Petzold, liebe Musik, deshalb lasse er sie weg). Durchaus fesselnder Plot mit überraschenden Wendungen und organischen Dialogen. Die allerdings teilweise seltsam künstlich, theatralisch, rezitativ gesprochen werden; am deutlichsten fällt das auf, wann immer (der rund gediehene) Thomas Schubert “Nein” antwortet. So spricht kein normaler Mensch in einer solchen Situation. Mag daran liegen, dass deutsche Filmschauspieler (in Ermangelung einer Filmschauspieler-Schule) von der Bühne runter engagiert werden und dann einfach nicht vergessen können, dass man sie in der 34. Reihe nicht verstehen muss. Petzolds Absicht? Der Ruhrpottler ist filmisch für Minimalismus und Präzision bekannt, stofflich für soziale Realität. Ist es das? Sollen diese präzise abgesetzten Dialoge, diese hochsprachlichen „Neins“ sein Markenzeichen unterstreichen?… Auch weiß ich nicht, ob die Nervosität gewollt ist, mit der Bademeister Devid (Enno Trebs) seinen (viel zu langen und in sich unstimmigen) Witz erzählt (warum sollte der Teppichverkäufer DREImal zurückkommen, anstatt den Fuß in der Tür zu lassen?) Typisch Deutsch? Diesmal wenigstens keine Onanierer und keine Menschenpenisse im Bild – ach so, doch, einmal kurz im Halbdunkel, na gut, muss wohl sein, vielleicht schreibt die Filmförderungsanstalt das vor. Auch die Dramaturgie der Freundschaft zwischen Leon und Felix ist nur schwer nachzuvollziehen: Würde DIESER Felix die schlechte Laune des Kopfarbeiters nicht viel früher konterkarieren? Allzu arger Bruch der Plausibilität: Dass ein Verleger sich die Mühe macht, zu einem jungen Autor ans Meer zu fahren, ihm seinen Mist vorzulesen. Das ist kompletter “Bullshit”, um in der Sprache der (meines Erachtens viel zu glatten, perfekten) Primadonna zu bleiben. Ich dachte, hoffte, der Verleger sei eigentlich (auch) der Vater. Egal, verziehen. Am Schluss ein weiterer Lapsus: Der Krankenpfleger sagt viel zu früh “Na dann woll’n wa mal!” Es war vorhersehbar, dass er das sagt, und wenn er es dann schon wirklich sagen muss (um – überflüssigerweise? – im Nachhinein die Menschenweisheit des Verlegers zu belegen?), dann doch bitte im richtigen Moment, nämlich NACHDEM er die Fenster (also den Film) geschlossen hat – als Schlusswort. Das Beste: Der geistreich-feine Sinn für Humor, der mich mehrmals zum Lachen brachte, am herzlichsten, als die Eisverkäuferin sich als Literaturdoktorandin erweist. Köstlich. Auch, oder gerade mit dieser Zurückgenommenheit des Protagonisten, der die verdammt schwierige Aufgabe hat, alles ausschließlich mit Blicken zu sagen – und dieser Aufgabe erstaunlich oft gerecht wird…
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