Günter Rohrbach inszeniert Dominik Graf
Notizen zum Hauptseminar “Filmproduktion”, HFF München 1988, Seminarleiter: Dr. Günter Rohrbach. Zugleich eine kleine Neid-Hommage.
„Guten Tag. Neben mir sitzt Dominik Graf!“ stellt Dr. Günter Rohrbach, Chef der Münchner Bavaria, uns seinen heutigen Gast vor. Leicht lampenfiebrig hatten die beiden vorletzten Donnerstag gemeinsam der Düsseldorfer Premiere zu ihrem neuen Film „Die Katze“ vorgesessen. Heute dagegen sind sie entspannt. Der sympathische Produktionsleiter hat das, wovon so manch ein Top-Manager träumt: Charisma in Form natürlicher, entwaffnender Autorität. Schon wenn er zu reden ansetzt, wird es still im Raum – so kann dieser zierlich-grazile Herr auch seine feine, helle Stimme schonen. Seine munteren Augen taxieren flink die in Erwartung gespannten Gesichter des Publikums. Den obersten Hemdknopf trägt er offen und die dunkelblaue Strickkrawatte hat sich verdreht – ansonsten schaut er genauso aus, wie man sich einen korrekt gekleideten, netten Herrn vorzustellen hat, der vorgestern seinen 60sten Geburtstag feierte.
Neben ihm hockt ein posthalbstark wirkender Enddreißiger mit hochtoupiert kurzem Haar, trägt weite stone-washed-Jeans, ein kariertes Flanellhemd von 3K und eine Wenders-Brille. Betont gelangweilt zerknatscht er ein Kaugummi und betrachtet mit weit nach vorne gebeugtem Oberkörper seine amerikanischen Basketballstiefel, wie ich sie bisher nur den Skateboardern in Brooklyn und Haarlem gesehen habe – aber auch das eben nur im Fernsehen. Wahrscheinlich kosten sie hier ein Vermögen. Sein schmaler Mund am windschnittigen Kopf mit den verschmitzten Äuglein drängen mir die Assoziation zu einem Vogel auf. Irgendetwas zwischen Buntspecht und Lachmöwe vielleicht.
Wie wir von Herrn Rohrbach erfahren, stammt „Graf“ (so wird er ihn freundlicherweise auch die nächsten drei Stunden nennen) aus einer berühmten Künstlerfamilie. Sein Vater Robert sei ein berühmter Fernseh-, Film- und Theaterschauspieler gewesen, der 1966 starb, und seine Mutter (ebenfalls Schauspielerin) avancierte wohl irgendwann zur Schriftstellerin. Mit einer Frage, die uns 30 Filmstudenten höherer Semester sichtbar aufhorchen lässt, gibt er das Wort dann an seinen Gast weiter:
„Wie wird man denn nun in Deutschland Filmregisseur?“
Ich höre die Stimme von Dominik Graf zum ersten Mal und bin überrascht: Sie paßt nicht zu seiner klischeehaft amerikaphilen Erscheinung, wirkt vielmehr angenehm ausgeglichen, beinahe sanft. Was dann folgt ist allerdings wieder Klischee, denn es hört sich an, wie die höhnische Selbstdarstellung eines amerikanischen Superstars:
„In der Schule war ich einer der schlechtesten, bin andauernd rausgeflogen. Und mit Film hatte ich lange Zeit überhaupt nichts im Sinn. Eigentlich wollte ich Rockmusik machen, als Gitarrist und Sänger – aber auch da war ich völlig erfolglos und schlecht…“
Ich notiere in meinem kleinen Moleskine, in dem angeblich bereits Hunter S. Thompson seinen Hells Angels-Roman skizzierte: “Eigentlich war ich ein absoluter Versager’ – kein Zitat”.
Dann kommt das obligate Germanistikstudium, das abgebrochene, und schließlich das Überklischee von der Faszination des ersten Kinofilms. ‚Bitte jetzt nicht auch noch Truffaut‘ denke ich, als er uns auch schon erzählt, es sei kein anderer als Francois Truffaut gewesen, dessen Werke ihn inspiriert hätten. Und, als hätte er meine Gedanken erraten, fügt er noch eine kleine Gehässigkeit hintan:
„Weiß nicht, ob Sie schon was von Truffaut gesehen haben!? – Ich meine die Filmserie mit Antoine Doinel…“
So wie viele andere seiner Kollegen, nämlich als „Kaffeeholer“ (womit er freilich den Job des Regieassistenten zu umschreiben versucht), habe er nicht anfangen wollen. In den 70er Jahren – so berichtet er weiter – wurden die beiden deutschen Filmhochschulen etwas angesehener und dadurch einflussreicher. Also bewarb er sich hier an der HFFM, um „wenigstens drei Jahre lang Filme drehen zu können, die, wenn auch mit viel zu geringen Mitteln, staatlich finanziert werden.“ – und wurde genommen.
„Habe völlige Scheißfilme gemacht!“, bis ihm sein Abschlussfilm „Der kostbare Gast“ (für den er auch das Drehbuch schrieb), einen Preis einbrachte, den er als „Sprungbrett seiner Karriere“ bezeichnet: Der Bayerische Filmpreis für Nachwuchsregisseure.
Dann kam sein erster richtiger Spielfilm, ein „psychologischer Horrorstreifen“ mit dem Titel “Das zweite Gesicht“. Das Ergebnis dieser Arbeit bezeichnet er als das „endgültige Fiasko“, und fügt als Begründung die Tatsache hinzu, „in einer Person als Drehbuchautor und Regisseur aufgetreten zu sein“. „Gleich nach drei Wochen wurde er vom Verleih wieder zurückgezogen. Also das war echt ’n Witz der Film…“
Ein Student unterbricht: „Ist denn der Verleih nicht an einen Vertrag gebunden?“ – Darauf Rohrbach:
„Das ist ein richtig hartes Geschäft. Wenn der Verleih abbricht, hat es überhaupt keinen Sinn, auf den Vertrag zu pochen. Die sagen: ‚Verklagen sie mich doch! Dann verklagt man sie und geht durch sämtliche Instanzen. Wenn man Glück hat, werden die dann 1994 dazu verurteilt, einen veralteten Film zu zeigen – und so etwas macht man natürlich nicht!.“
Und mit einem höchst einnehmenden Lächeln schließt er augenzwinkernd ab: „Verstehen Sie?“
„Von nun an“, knüpft Graf wieder an seinen Lebensbericht an, wollte er „endlich mal bei Bavaria lernen“. So durfte er sechs Folgen einer TV-Serie namens „Chaos“ machen – „die wir in extrem wenig Zeit drehen mußten, deshalb beschränkte sich meine Kunst mehr oder weniger auf das Aneinanderfügen von dialogischen Gegenschnitten!“, die sich aber offensichtlich dennoch sehen lassen konnten, denn die Bavaria bot ihm daraufhin zunächst drei Folgen für die Vorabendserie „Der Fahnder“ an. „Die waren dann sogar relativ erfolgreich.“
Die Zusammenarbeit mit Christoph Fromm, dem Drehbuchautor seines nächsten Films („Der Treffer“), Anfang der 80er, erwies sich als außergewöhnlich kooperativ und begründete gleichsam eine längerfristige Zusammenarbeit zwischen den beiden. „Endlich hatte ich auch einen Stil gefunden, mit dieser Art von Auftragsproduktion umzugehen.“ Es folgte „Die Pause“, eine unspektakuläre Produktion. Ebenso eine fast gleichzeitige Bühneninszenierung, durch die er erstmals mit Götz George zusammentraf. „Das war aber nicht zufällig ’Der Revisor’?“ fragt einer nach, – „Nein. Das Stück hieß… äh… Schwarzes Wochenende.” Und in veränderter Haltung berichtet er uns schließlich von seinem “größten Fiasko: Es war ein schwerer Fehler, auf das Angebot der „Constantin“ einzugehen, und mit der Rockgruppe Trio einen Film zu machen!” Erstens sei das von fünf oder sechs Autoren gemeinsam verfassten Drehbuch erst zwei Tage vor Drehbeginn fertig gewesen („und so etwas geht natürlich nicht“) und zweitens… er zögert einen Augenblick lang. .. habe sich “Trio als relativ unergiebig als Komödianten erwiesen“. Wie unverfänglich formuliert – denke ich – richtig professionell! „Der Film ist in München nie gelaufen und brach in den drei oder vier anderen Städten völlig ein.“ – weiter will er sich nicht darüber auslassen.
„Und dann hatte ich mal Gelegenheit, einen ganz anderen Film zu machen, dessen Inhalt mich echt interessierte: Ein Israeli kommt nach Deutschland zurück und findet seine Großmutter mit einem Ex-Nazi verheiratet!“ Der Titel: „Bei Thea“. „Tja und zur gleichen Zeit begann auch schon die Vorproduktion zu der ’Katze’. Die hat sich endlos hingezogen, da es wahnsinnig viele Drehbuchfassungen gab.“ Die letzte stamme schließlich von besagtem Freund Christoph Fromm. „Was aus diesem Film wird, wissen wir noch nicht so genau – aber er läuft wohl ganz gut jetzt.“
Noch bevor uns so richtig bewusst wird, dass es sich um das Ende des Aufsatzes „Wie wird man in Deutschland Regisseur“ handelt, ergreift der Mann das Wort, der seinem Gast die ganze Zeit über aufmerksam gelauscht hatte:
„Das, was Graf macht, unterscheidet sich durch eine sehr wichtige Variante von den anderen: Er arbeitet im amerikanischen Stil.“ Dann listet er die beiden anderen Kategorien auf: Erstens der „deutsche Provinzfilm“ und zweitens der „individuelle Regisseur-Stil“, wie z.B. dem von Wim Wenders…
„Wissen Sie, um so weit zu kommen wie Graf, muß man eben eine Zeitlang Schwarzbrot essen, bevor man… er stutzt… bevor man dann also an die besseren Brotsorten rankommt.“ Ich muss grinsen, weil ich das für einen unglücklich gewählten Vergleich halte – er grinst auch.
Mit einer Art einladender Geste gibt er sodann zu verstehen, daß er nunmehr für sämtliche Fragen zur Verfügung stehe – dies ist der Augenblick, auf den alle gewartet haben.
„Der Film wurde ursprünglich mit einem Budget von 5,1 Mio. Mark veranschlagt, was für einen deutschen Film schon enorm viel ist, wenn man bedenkt, daß ein Tatort beispielsweise höchstens anderthalb Mio kostet, hat dann aber im Endeffekt doch ca. 6,7 Mio. gekostet. Wie kam es zu dieser überheblichen Überschreitung?“ …
Weiter reichen meine Notizen leider nicht.
Schreibe einen Kommentar