King Pulp. The Wild World of Quentin Tarantino. Übersetzung des Sachbuches von Paul A. Woods
Aus dem Englischen von Frank Jankowski übertragen – und mehreren deutschen Verlagen angeboten, die damals mit der Begründung ablehnten, Tarantino sei eine „Eintagsfliege“, „zu brutal“, „zu trivial“ etc. und finde hier deshalb keinen Markt.
Lizenzgebender Verlag: Plexus Publishing Lt., London, 1996.
Einleitung
Bei der Verleihung der Academy Awards von 1995 betraten zwei junge Filmemacher das Podium, um den Oscar für das beste Original-Drehbuch in Empfang zu nehmen. Auf den üblichen Firlefanz verzichtend, sich bei jedem, angefangen vom ausführenden Produzenten bis hin zu den Großeltern, zu bedanken, nahm der, der etwas weiter vorne stand, ein drahtiger hohlwangiger Typ, die Trophäe mit einem etwas gequälten „Thanks“ entgegen: „Das wird ja wohl der einzige Preis sein, den ich hier heute Abend gewinne„, verkündete er, obgleich er auch noch als bester Regisseur nominiert war und sein Film, Pulp Fiction, als bester Film.
„Ich habe ziemlich viel über all das hier nachgedacht, und vielleicht sollte ich den ganzen Scheiß mal erzählen, einfach mal alles rauslassen, gleich heute abend…“ Sein etwas beherrschterer langhaariger Ko-Autor hinter ihm schüttelte den Kopf. Er war einer von denen, die sich, einmal von der Leine gelassen, durchaus einen Weg ins nächste Jahrtausend bahnen konnten. „… Aber das ist nicht mein Ding“, nuschelte Quentin Tarantino – und dann nochmal „Thanks„. Sein Ko-Autor, Roger Avary, nahm sich etwas mehr Zeit für die traditionellen Sentimentalitäten: „Ich möchte meiner wunderschönen Frau Gretchen danken“, fing er an, und beendete seine Dankesrede dann mit einem Witz, über den niemand lachte: Er müsse jetzt pissen gehen und deshalb die Bühne verlassen.
Die freche Lässigkeit des Duos wurde tags darauf von den Mitteilungsblättern der Filmbranche und den Feuilletons der Tageszeitungen erstaunlich zurückhaltend aufgenommen. Normalerweise hätte man ihnen Arroganz und Mangel an Ehrfurcht vorgeworfen. – Tarantino schien zwar ergriffen genug, um seinen Preis einzufordern, doch sein Vorwurf über den „einzigen Award den ich gewinnen werde“ barg einen Unterton, als hätte er sich bereits mit dem zweitbesten Preis abgefunden. Jedenfalls wurde seine Verletzung der Etikette still geduldet, so wie großkotzige Rock-Stars geduldet werden, wenn sie gönnerhaft ihre Grammy-Awards abgreifen. Die Rüge der New York Times richtete sich nicht gegen Tarantino, sondern gegen den Gastgeber der Oscar-Verleihung, David Letterman, den Helden der Late-Night-Talkshow und Veteran der Unterhaltungsindustrie, der sich bei seinem Job nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte.
Warum aber soviel Beifall, Bewunderung und vorbehaltloser Respekt für einen jungen Filmemacher und dessen Drehbuch-Partner (um gleich zu Beginn auf den Punkt zu kommen)? Schließlich schufen sie eine ziemlich geschmacklose, künstlerisch anspruchslose Unterhaltung ohne jeden versöhnlichen sozialen Wert, ohne tiefgründige Message, ohne jede seriöse Philosophie – kurz: ohne all die Tugenden, die das selbstgerechte Hollywood-Establishment anstrebt, um seiner eigenen Bedeutung Ausdruck zu verleihen, wenn es darum geht, den Applaus anzuheizen.
Ungeachtet der Tatsache, daß Pulp Fiction sechs von den sieben Oscars, für die er nomiert war, nicht gewann, schien bereits seine bloße Einbeziehung in das Zeremoniell als eine Art Gegengift zu dem universellen Gute-Laune-Film Forrest Gump zu fungieren. Pulp Fiction schien vor allem denjenigen gute Laune zu bereiten, die einen Sinn für das urige „Guns, Gals an‘ Guts“*)-Lebensgefühl der primitiven Grindhouse-Filme und -Hefte hatte. Mit der Kultivierung dieses Lebensgefühls hatten die beiden Filmemacher ihre stilistische Nische gefunden.
Tarantinos Filme, die – im Gegensatz zu den Filmen anderer Regisseure mit einer solch steilen Karriere – bislang ausschließlich durch seinen persönlichen Geschmack und seine persönlichen Leidenschaften geprägt waren, sind die späten Folgen jener Fernseh- und Kinokultur, in der er aufgewachsen ist. Durch seinen Mangel an intellektueller Abgehobenheit ist er in der Lage, jeden seiner Lieblingskrimis oder Kung-Fu-Streifen der 70er Jahre mit demselben Ernst zu betrachten, wie das neueste Werk eines angesehenen Meisterregisseurs. Während der letzten 30 Jahre hat Quentin Tarantino alles aus dieser Kultur verschlungen und verdaut, denn er kennt die Bedeutung eines kulturellen Kunstwerks, wie z.B. eines Films, die viel mehr auf der inneren organischen Spannung und auf der visuellen Ikonographie beruht als auf dem Versuch, irgendwelche genialen Ergebnisse zu erzielen. Der Erfolg eines Tarantino mag Hollywood als Mahnung gereichen, daß seine Existenz einzig und allein auf der Erschaffung von Unterhaltung und Spannung beruht. Und auf bezeichnende aber keineswegs elegante Weise trug Hollywood dazu bei, die Begabung eines Filmemachers zu fördern, der mit Vorliebe den billigen Thrill und Glamour des Mediums zelebriert, indem er ihm durch einen klugen und kompetenten Kontext zu Ansehen verhilft.
Fügt man dem eine allgemeine Schwäche für die populäre Kultur hinzu – Fernsehen, Comic-Strips, Rock ’n‘ Roll, AM-Bubblegum-Musik, Fastfood – so erhält man ein Talent, das erst in den frühen 90ern erblühen konnte, als die Post-Boom-Babies und die Pop-Kultur-Kinder erwachsen wurden. Dieses Buch spiegelt die Art und Weise wider, mit der sein Protagonist die Symbole unserer angeblich freien Kultur zelebriert, und erzählt die Geschichte seines phänomenalen Erfolgs in jenem Zeitalter, das er selbst mitdefinierte.
1. Kapitel
1963 begannen die Massenmedien der modernen Welt, die USA zu durchdringen. Zeitungen und Fernsehsender bombardierten eine noch in den Windeln steckende Nation mit zahllosen Fotos, Nahaufnahmen und Vergrößerungen ihres jungen Präsidenten auf seiner schicksalhaften Fahrt, auf der ein Großteil seines Gehirns weggepustet wurde und ihm damit Unsterblichkeit verlieh. Im folgenden Monat sollten Standbilder von der gesamten texanischen Wagenkolonne, aufgenommen von Amateurfilmer Ab Zapruder, es ermöglichen, daß in den Wohnzimmern quer übers ganze Land fast jede amerikanische Familie an der Ermordung ihres Anführers hautnah teilhaben konnte.
In den Kinos hatte Alfred Hitchcock, der einzige echte Erstligist unter den Regisseuren, der bereits einen Fuß ins Fernseh-Lager gesetzt hatte und sich später sogar zum Todfeind des Kinos erklärte, mit den Vögeln einen Schritt gefestigt, den er mit Psycho bereits vom Thriller zur modernen Horror-Gothik gegangen war. Die an seine unwiderstehlich grauenhafte (und manchmal auch grauenhaft lustige) Fernseh-Serie gewöhnten Zuschauer, „Alfred Hitchcock präsentiert“ – es folgten seine 50er-Jahre-Thriller und die 40er-Melodramen -, standen Schlange, um den Thrill unserer gefiederten Freunde zu erleben, die zu blutrünstigen Monstern mutiert waren, Köpfe hysterischer Kinder aufklopften und das Auge eines Farmers verschlangen (alles durch den Einfallsreichtum von Walt Disneys Effekt-Spezialisten auf Zelluloid gebannt).
Selbst in einer kleinen Niemandstadt wie Knoxville, Tennessee, sollten die versoffenen Schnulzensänger der Hillbilly-Songs bald von einer Handvoll englischer Kids, die sich selbst The Beatles nannten, durch deren Beatnik-Frisuren und seltsam schrillen Rock ’n‘ Roll in arge Verlegenheit gebracht werden. Wie fremdartig ihr Sound auch gewesen sein mag, es sollte nicht lange dauern, bis sich die dortigen High-School-Mädchen in kreischende Ekstase strüzten, genau so, wie es ihre Kusinen an der Ostküste oder in Europa taten, denn dies war eine von den Medien durchgeführte Invasion, die ganz gezielt von den Wohnzimmern aus gestartet wurde, nämlich durch die Ed Sullivan Show. Es war das goldene Fernseh-Zeitalter – und von nun an sollte die Pop-Kultur untrennbar mit der Fernseh-Kultur verbunden sein.
Im Laufe dieses goldenen Zeitalters der medialen Übersättigung, genauer gesagt am 27. März 1963, brachte eine Teenagerin – kaum älter als die Kids, die bald fr die Beatles kreischten – in Knoxville einen Sohn zur Welt. Connie, die Mutter, war 16 Jahre alt und begriff sehr schnell, daß ihre Heirat mit Tony Tarantino, einem erfolglosen Musiker, ein Fehler gewesen war. Kurz darauf faßte sie den Entschluß, ihren Sohn alleine aufzuziehen. Später war der Junge selbst in der Lage dies zu beurteilen: „Ich habe meinen Vater nie kennengelernt. Meine Mutter heiratete ihn, um von ihrer Familie wegzukommen. Im Prinzip waren sie beide Penner. Sie beendete die Pennerbeziehung zugunsten eines neuen Penners.„
Soviel zu den nackten Tatsachen. Hier nun die näheren Umstände:
Connie war eine halb-cherokesische Hillbilly mit einem wildem Stammbaum krimineller Schwarzbrenner. Ihren Jungen brachte sie gelegentlich zu dessen halbgebildetetem Opa, der Tabak kaute während er auf das Baby und die Distillerie aufpaßte. Und manchmal, wenn der Alte seinen schwarzgebrannten Schnaps ausliefern mußte, setzte er den Kleinen im örtlichen Autokino ab, wo dieser sich das Dawn-till-dusk-Programm anschaute.
Da sie keinen geeigneten Namen parat hatte, nannte Connie ihren Jungen nach der Figur Quint, die Burt Reynolds in der TV-Western-Serie Gunsmoke spielte, das heißt sie gab ihm den Namen Quentin, den sie für die unabgekürzte Version hielt. [In Wahrheit ist Quint die Kurzform von Quintus, lateinisch „der Fünfte“].
Jetzt, in die mittleren Jahre gekommen, kann Connie nur noch müde über die bunten Legenden schmunzeln, die sich um die frühe Kindheit ihres Sohnes ranken: „Das meiste von dem, was ich zu lesen bekomme, ist unwahr. Wo haben die bloß alle ihre L’il Abner-Stories her?“ Gefragt nach der Zeit, als die Teenagerin ihr Kind bekam, nach den Schauplätzen im Süden und nach ihrer Rolle als allein erziehende Mutter, antworten diejenigen, die näher mit der cleveren Frau zu tun hatten, daß all dies im großen und ganzen der Wahrheit entspricht. Was weniger dem südlichen Glamour-Klischee entspricht, dafür aber ihre Charakterstärke bezeugt, ist die Tatsache, daß Connie das College nicht abbrach, sondern drei Jahre nach der Geburt des Kindes ihren Abschluß machte.
…
*) sinngem.: heiße Schießeisen, heiße Bräute und heiße Stunts
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