Der Bruder des Selbstmörders

Zwei Filme, ein alter von Ulu Grosbard und ein neuer von Ridley Scott

Do., 14.10.21 Vorgestern Abend zur Abwechslung mal wieder einen beeindruckenden, mir bislang gänzlich unbekannten, auf wahren Ereignissen beruhenden Film entdeckt: “Tief wie der Ozean / ” (1998), mit einer wie immer bezaubernden Michelle Pfeiffer neben dem mir seit jeher unsympathischen Treat Williams, wobei ich nicht einmal sagen kann, ob die Abneigung auf seinen Rollen beruht (in Hair spielt er diesen scham- und distanzlosen Affen-Hippie Burger und im “Leben nach dem Tod in Denver” diesen, seinen eigenen Kot fressenden, Psychopathen Critical Bill), oder ob mir seine Visage einfach nicht gefällt. Der 1928 in Antwerpen geborene und dann 1942 über Kuba nach USA geflohene Jude Ulu Grosbard hatte 84 “Falling in Love” gedreht. Auch hier geht es um eine Familie — die daran zerbricht, dass ihr 3-jähriges Kind verschwindet. Zehn Jahre später taucht es wieder auf. Eine Psychopathin hatte das Kind entführt, als ihr eigenes ausgegeben, geheiratet und sich bald danach umgebracht. Was mich besonders berührt, ist die Rolle des Adoptivvaters (John Kapelos), der nicht wusste, dass das Kind entführt worden war und großartig unter der Trennung leidet. —

Durstig nach weiterer Unterhaltung beschloss ich, ins Kino zu gehen, entdeckte zwei gute Chancen auf Erfolg: Sönke Wortmanns “Contra” und Ridley Scotts “The Last Duel”, deckte mich mit Brotgarten-Obstplundern, Salzstangen und Philadelphia ein, löste eine Karte für den neuen James Bond, der mir helfen sollte, die 90 Minuten bis zum Beginn der ersten Hoffnung zu überwinden. Jedoch ließ mich die sinn- und handlungsfreie Ballerei (in Saal 1) buchstäblich einschlafen. Wer hatte nochmal behauptet, geschworen, es gebe diesmal eine tolle Handlung? Von wegen. Falls doch, wurde sie bis zur besagten Minute 90 nicht einmal angerissen. —

Umso entspannter schlich ich mich hinaus zu Wortmanns neuestem Werk ins große Kino 3, was ich allein deshalb erwähne, da der gute (dritte) Film im kleinsten Raum lief: Studio B, das beinahe ausverkauft war. Diese Zoopalast-Banausen! —

Nochmal klar machen, was für ein unglaubliches Oeuvre Ridley Scott bislang „regierte”:  Alien (1979), Blade Runner (1982), Thelma & Louise (1991), 1492 (1992), Gladiator (2000), American Gangster (2007), Der Marsianer (2015). Dieses Jahr beschert uns der mittlerweile 84-jährige Bruder des Selbstmörders neben dem (bald anlaufenden) “House of Gucci” ein weiteres Meisterwerk, dessen Drehbuch niemand Geringere als Matt Damon und Ben Affleck erarbeiteten (sowie als Dritte im Bunde die universell erfahrene Hollywood-Insiderin Nicole Holofcener): „The Last Duel“ ist ein auf wahren Begebenheiten beruhendes vielschichtiges mittelalterliches Historiendrama mit einem abstoßend eindringlichen Damon als dröger Ritter, der ihm eine Oscar-Nominierung einbringen müsste: Mitten im Hundertjährigen Krieg bezichtigt die überaus schöne und smarte Marguerite, Frau des „unlustigen“ Jean de Carrouges, dessen Freund Jacques Le Gris, sie vergewaltigt zu haben, was dieser bestreitet. Obwohl solche Duelle zu jener Zeit (1386) bereits verpönt sind, soll der Streit als ein solches vor dem Königspaar ausgetragen werden, um so Gott die diffizile Entscheidung zu überlassen. Der hochheikle Haken: Falls der Kläger verliert, also stirbt, wird die edle Dame wegen Verleumdung eines Junkers auf dem Scheiterhaufen verbrannt – und damit zugleich ihr Neugeborenes zum Waisen. Eine weitere von bestechend vielen brisanten sozialgeschichtlichen Facetten: Frauenheld Le Gris (trefflich von Shooting Star Adam Driver verkörpert) ist allem Anschein nach der Vater des (lang ersehnten) Kindes, was nach dem damaligen “Stand der Wissenschaft” aber nur möglich gewesen wäre, sofern die Empfängnis der Edeldame mit Vergnügen verbunden war. — Psychologisch und auch sprachlich überzeugend wird dieselbe Geschichte aus drei Perspektiven aufbereitet, wobei sich die Dramaturgie zunehmend verdichtet und im alles entscheidenden Höhepunkt endet. 

Die gute Nachricht zu Wortmanns deutscher Coverversion von My Fair Lady: Zum einen wesentlich kurzweiliger und sprachlich intelligenter als der neue James Bond, der albernerweise keine Zeit zum Sterben hat. Zum anderen füllt Christoph Maria Herbst seine Rolle (des Professors Higgins quasi) viel interessanter aus als Daniel Craig seine Rolle der alternden Actionhelden-Ikone (-Diva?), die ihm aber auch nur wenig Entfaltungsspielraum bietet…

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