7-Schritte-Digitalisierung der Bahn rettet Mutter mit Kind — ein Traum (anno 2019)

Sandra Kunze (42) und Töchterchen Sophie (4) hatten ihre Herbstreise von Berlin nach Oberbayern zum Glück online gebucht, denn dadurch war es der DB möglich, per
Logarithmus Schadensbegrenzung auf höchstem digitalisierten Niveau zu bieten. Der Ablauf:

  1. Wegen eines Triebwerkschadens fiel der ICE München-Berlin aus. Kurzfristig einen Ersatz bereitzustellen, war unmöglich, jedoch speiste der zuständige Techniker diese Information sofort in das Fahrgast-Logistik-System (FLS) der Deutschen Bahn ein.
  2. Umgehend wurden sämtliche Fahrgäste, die online gebucht hatten, per sms über die Panne informiert.
  3. Gleichzeitig erhielt Sandra mehrere individuell passende Vorschläge für alternative Reiserouten, die sie direkt per Handy-Fingertipp bestätigen konnte.
  4. Unmittelbar anschließend versorgte das kundenfreundliche FLS Sandra und Sophie mit einem online-Ersatzticket für die gewählte Verbindung — inklusive sogar einer neuen
    Reservierung. Der Logarithmus des Systems war nämlich derart programmiert worden, dass bei solchem Versagen sämtliche verfügbaren Sitzplätze automatisch belegt werden — und zwar in der Reihenfolge einer zu diesem Zweck erstellten Prioritätenliste: 1. Schwerbehinderte, 2. Alte Menschen, 3. Kinder und deren BegleiterInnen, 4. Erste-Klasse-Passagiere.
  5. Außerdem hatte die erfreulich serviceorientierte Bahn auch “analoge” Vorkehrungen getroffen, um die Unbill ihrer Fahrgäste zu lindern: nämlich kurzfristig Helfer abgestellt, die Behinderten, Alten und allein reisenden Müttern mit kleinen Kindern beim Tragen schwerer Gepäckstücke behilflich waren.
  6. Zu guter Letzt erfolgte die (selbstverständliche) Mitteilung über die sofortige und AUTOMATISCHE Rücküberweisung des bezahlten Fahrpreises. Da Sandra und Sophie zwar (nur) 67 Minuten nach der eigentlich gebuchten Ankunft zuhause ankamen, jedoch eine bequeme Ersteklasse-Reservierung in Anspruch nehmen konnten, erhielten sie noch VOR ihrer Ankunft die Hälfte des Preises gutgeschrieben. Fahrgästen hingegen, für die kein Sitzplatz mehr reserviert werden konnte, wurden sogar Zwei Drittel ihrer Kosten erstattet.
  7. Jene, die nicht in den Genuss einer automatischen Ersatzreservierung kamen, erfuhren tatkräftige Hilfe vom freundlichen Zugpersonal, das sich durch die Gänge arbeitete
    und andere Fahrgäste aufforderte, diejenigen Sitzplätze freizumachen, die trotz des vollen Zuges mit Gepäckstücken belegt waren. Diese Plätze wurden dann unkompliziert per
    analogem Hinweis reserviert.

Und so kam es, dass alle entspannt und vergnügt in Berlin ankamen, die Deutsche Bahn in bester Erinnerung behalten und bei der nächsten Wahl, ob man per Auto, Flugzeug oder Eisenbahn verreist, sich sehr gerne wieder für letzteres entscheiden wird.

Beide Foto-Collagen/Montagen: Frank Jankowski (Copyright!)

Und wenn sie nicht gestorben sind… oder: Wer’s glaubt wird selig!

Soviel zur Theorie, zu dem, was betriebswirtschaftlich und technisch ohne Weiteres möglich WÄRE — jedoch aus komplett unnachvollziehbaren Gründen (Dummheit? Borniertheit? Abzockermentalität?) einfach nicht getan wird.

Die Realität sieht so aus:

  1. Erst acht Minuten vor (geplanter) Abfahrt des Zuges erfolgt eine (wegen der Amateur-Soundanlage nur schwer verständliche) Bahnhofsdurchsage, dass der ICE ausfällt. Ein Grund wird nicht angegeben.
  2. Obwohl solche Pannen der DB alle Nase lang unterlaufen, wird (natürlich) KEIN Ersatzzug bereitgestellt.
  3. Als Sandra mit nörgelndem Kind und mehreren Koffern Gepäck schweißgebadet am Info-Schalter der Deutschen Bahn eintrifft, um sich nach Alternativen zu erkundigen, lungert dort bereits eine Schlange von rund 200 genervten, weil obdachlosen Fahrgästen herum. DREI der elf Info-Schalter werden nicht einmal bedient.
  4. Sandra versucht nun, per Smartphone selbst eine Lösung zu finden, findet die auch, hetzt mit Koffer und plärrendem Kind durch den riesigen Bahnhof, gelangt gerade noch rechtzeitig zum Alternativ-ICE — und muss feststellen, dass sie nicht mehr hineinpasst. Eine mürrische Schaffnerin erteilt ihr den glorreichen Tipp, einen anderen Zug zu nehmen — irgendeinen.
  5. Gesagt getan. Im besagten Zug sind sogar Plätze frei, die jedoch “bei Bedarf” so steht es auf den digitalen Schildern geschrieben, frei zu machen sind. Eine aktive nachträgliche Reservierung ist unmöglich.
  6. Insgesamt müssen Sandra und Sophie VIERMAL ihre Plätze wechseln, weil die Sitzplätze jedesmal kurzfristig für andere Fahrgäste ausgewiesen werden. Und natürlich muss sie sich, ihr Gepäck unbeaufsichtigt lassend, die neuen Plätze jedes mal selbst suchen, muss selbst an die dreisten Mitreisenden herantreten, sie auffordern, das Gepäck woanders (als auf den
    einzigen freien Sitzplätzen) zu verstauen.
  7. Und so geschieht es, dass Sandra und Sophie beide entnervt zu Hause ankommen, sich schwören, das nächste Mal mit dem Flugzeug zu fliegen, sich fragen, warum denn bloß VOR der Privatisierung der Bahn alles so reibungslos funktionierte, warum man damals buchstäblich seine Uhr nach dem deutschen Eisenbahnverkehr stellen konnte, und weshalb das in der Schweiz noch immer so ist? Ist es dieselbe Unfähigkeit, die einen Flughafen für mehr als 13 Jahre lahm legt — und uns (Deutsche) damit in der ganzen Welt blamiert?…
  8. Zu schlechter Letzt wird Sandra sich noch durch das Labyrinth von Reklamations- und Fahrgastrechteformularen wühlen müssen, wird sich die Verspätung “bestätigen lassen” müssen (ja von WEM denn?!), wird genötigt, nochmals wertvolle Lebenszeit zu verka***, die Bahn anzubetteln, für die Nichterfüllung ihres Vertrages gerade zu stehen. Und im Zweifelsfall wird es dann heißen: Da ihre Verspätung nur 59 Minuten betrug, also die Dauer von mindestens 60 Minuten NICHT überschritten wurde, steht Ihnen leider keine Erstattung zu. Wir bedauern Ihre Umstände und bitten Sie höflichst, sich einfach ins Knie zu f***.

P.S. Das besagte “Fahrgast-Logistik-System” scheint es bei der Deutschen Bahn gar nicht zu geben, deshalb war auch der Name (FLS) frei erfunden — reine Utopie.

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